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Noch vor Ende des ersten Weltkrieges kommt der Vater bei den Wiener Gaswerken in seinem Beruf als Maurer unter und hat dort eine ziemlich gefahrvolle Arbeit zu leisten. Zweimal wäre er dabei fast ums Leben gekommen, das eine Mal, als er in einem der Koksöfen Ausbesserungsarbeiten durchzuführen hat, und ein nachlässiger Kollege nicht genug aufpaßt und übersieht, daß der Vater sich noch in dem Ofen befindet. Von oberhalb wird ein in voller Tätigkeit befindlicher Ofen entleert, wobei sich der glühende Koksstrom in die unten befindlichen Abkühlkanäle ergießt. Die sich dabei entwickelnde Hitze verbrennt den armen Vater ganz scheußlich und er muß ins Spital eingeliefert werden. Ein anderes Mal wäre er fast an ausströmendem Leuchtgas (infolge einer schadhaften Leitung) gleichfalls bald gestorben und wurde nur im letzten Moment ‒ schon bewußtlos ‒ entdeckt und gerettet. Solche Geschehnisse haben nicht gerade dazu beigetragen, seinen ohnehin labilen Gesundheitszustand zu festigen, und so war er gezwungen, nach relativ kurzer Dienstzeit erst einmal einen leichteren Dienst als Aufseher, aber mit Tag- und Nachtdienstverpflichtung anzunehmen und dann, mit nur zehn Dienstjahren in Pension zu gehen. Nie werde ich vergessen, unter welchen Begleitumständen sich dieser immer pflichtgetreue, fleißige, pünktlichste von Allen (er war nicht einmal während seiner Dienstzeit jemals zu spät gekommen) oft am Abend erhob, um bei Schneesturm und Glatteis zu Fuß den Weg zu seiner weit entfernten Arbeitsstätte anzutreten. Nicht selten unmittelbar nach einem schweren Herzanfall, doch unentwegt und mit eiserner Disziplin gegen sich und seinen Brotgeber. Ich hätte manchmal weinen mögen, wenn ich seine hohe, schmale Gestalt aus der Tür wanken sah, leicht vorgebeugt, fast wie zum Angriff gegen die unerbitterliche Natur da draußen und das Leben selbst und doch stark und gefestigt in sich durch einen unerschütterlichen Glauben an Gott. Ich glaube, er hat die Kälte und den eisigen Wind gar nicht so sehr empfunden, seine Gedanken waren erfüllt von Liebe zu den Seinen, von Vorstellungen außerhalb dieses Erdenkreises und von Gebeten, die er auf seinem Weg und zuletzt in jeder freien Stunde seines Lebens spach.
Es war nicht immer so gewesen. Die Geschichte seiner „Bekehrung“ hat die Mutter der Mizzi später, als diese schon erwachsen war, erzählt.
Die Mutter hatte oft Heimweh nach ihrer Heimat und ging daher am Nachmittag in die Kirche, weil sie dort Landsmänninnen traf und weil sie sich dort wohl fühlte. Dabei ist es manchmal vorgekommen, daß sie sich auf dem Heimweg verspätete und der Vater sie zu Hause nicht vorfand. Eines Tages war er anscheinend besonders zornig darüber und beschloß, sie an ihrem Zufluchtsort aufzusuchen. Die Kirche war voll mit Menschen, die einem Missionar zuhörten, und der Vater fand zwar die Mutter nicht, aber ein Platzerl an einem Seitenaltar mit einem Marienbild. Sei es nun, daß ihn die Predigt des Missionars beeindruckte, oder was sonst die auslösende Ursache bildete, jedenfalls erzählte er der Mutter später, die Madonna habe ihm mit dem Finger gewunken und ihm zugelächelt. Von dieser Schilderung ging er sein Leben lang nicht einen Zoll breit ab. Dieses „Wunder“ bewirkte bei dem damals ungefähr vierzigjährigen Vater eine so vollständige Umstellung seines Lebens, daß er von da ab wirklich fast wie ein Heiliger lebte.
An seinem Grabe ‒ er starb mit 61 Jahren ‒ hielt ein uns befreundeter Priester einen Nachruf und er sprach von „einem Heiligen“, der sein Leben und Sterben geduldig, freudig und zuletzt fast heiter ‒ und die Anderen tröstend ‒ auf sich genommen und ertragen hatte.
Hier, an dieser Stelle möchte ich Dir, Du Lieber, danken für alles was du Deinen Kindern an Güte, Zärtlichkeit und verborgener, ja fast verschämter Fürsorge gegeben hast. Jeder von uns sollte glauben, er wäre Dein besonderer Liebling und alle waren glücklich dabei. Unter wie großen Entbehrungen hast Du Dir oft manchen Bissen abgespart, das kleine Stückerl Fleisch, das Du selbst so nötig hattest, mit einem Deiner „Lieblinge“ geteilt und heimlich und leicht schmunzelnd eine kleine Münze aus Deiner alten, abgegriffenen Geldbörse hervorgesucht, um kleine Kümmernisse und Schmerzen zu heilen oder zu lindern. Und wie glücklich warst Du, wenn Du an Sonntagen ‒ sommers und winters ‒ mit Deiner zahlreichen Familie in die erste Messe gewandert bist, wir Kinder noch halb verschlafen und nicht immer sehr freudig, Du aber erfüllt von Andacht und Liebe zu Gott und den Menschen. Und wie leuchtete Dein Gesicht, wenn Du mit uns heimgewandert bist und uns ermahntest, an diesem Tage dem Andern besonders viel Liebes zu tun, sich in seinen Fehlern zu bezähmen und gut zu sein.
Fast hast Du Dich dem Leben und den Deinen zuletzt zu sehr abgewandt, Dich in eine andere Welt geflüchtet und uns ein wenig unserem Schicksal überlassen. Ich erinnere mich, Dir einmal unterwegs begegnet zu sein, Du hast mich angesehen und nicht erkannt, Deine Lippen bewegten sich leise und Dein Gesicht war verklärt. So denke ich mir die Mönche, wenn sie in ihrer Zelle auf den Knien lagen und Zwiesprache mit ihrem Herrn hielten. Die selbe Versunkenheit und die gleiche Verzückung, der Blick wie ihn Märtyrer und Heilige auf Bildern haben.
Wenn je ein Gerechter ins ewige Heil eingegangen ist, dann Du, der Du allen um Dich ein leuchtendes Beispiel an GĂĽte und treuester PflichterfĂĽllung gewesen bist.
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