Grete Schröfl - Robert Schröfl: Korrespondenz


[up] [CV] [Holydays] [1920] [1921] [1923] [1925] [1926] [1928] [1929] [1930] [1931] [1932] [1934] [1935] [1936] [1937] [1938] [1939] [1940] [1941] [1942]


* Not translated yet * Only german version available *


Wien, 21. X.1920

Mein lieber Robert!

Dein Brief von Montag oder vielmehr der Emmys, den Du mir mitsandtest, hat mich sehr schmerzlich berührt. Habe sofort ein paar Zeilen an Emmy geschrieben und sie gebeten mir anzugeben, wann und wo ich sie treffen kann, wenn sie keinen Ausgang erhält. Mir tut das arme Mädel doch nicht minder leid als Dir. Und nicht allein Emmy, auch Lina! Auch sie scheint ja zu leiden unter den Verhältnissen! Und jetzt, wo ich selbst so glücklich bin, wünsche ich umso mehr, daß alle Welt es sein möge. Was all die Jahre nicht zuwege brachten, das Leid hat mir Lina näher gerückt. Wenn Dir der Abdruck von Rüdisühli so viel Freude machte, kriegst Du nächstens noch zwei solcher Karten. Mir haben sie auch ganz besonders gefallen. Ebenso freut’s mich auch, daß Du an Böcklins Gemälden Gefallen findest. Es ist dies wieder etwas, worin wir sympathisieren. Warum hast Du die Malerei aufgegeben! Solltest eigentlich wieder damit beginnen! Aber natürlich, wenn Du so viel schreiben mußt, dann ist es wohl nicht möglich, gelt? Nun, vertrösten wir uns mal wieder auf die Zukunft. Sag’ mal, hast Du je meines Bruders Zeichnungen geseh’n? Leider haben wir nicht mehr viel davon, Bilder überhaupt keine mehr, nur die Zeichnungen aus der Realschule und den ersten Jahren der Technik. Alles andere hat Mutter verschenkt, leider! Ich bin sonst nicht so neidig, aber um meines Bruders Bilder ist mir ehrlich leid.

Bei der Gelegenheit muß ich Dir übrigens erzählen, wie dumm ich einmal war. Es war kurz bevor wir in die Gumpendorferstraße zogen. Ich war damals 14 Jahre alt, meine Schwester 24. Mutter fuhr auf’s Land und nahm Hansi mit. Ehe sie aber fuhr, erhielten wir den Auftrag, die Bilderrahmen frisch zu streichen. Mutter war weg und ich machte mich mit Feuereifer an die Arbeit ohne jedoch die Bilder erst aus dem Rahmen zu nehmen. Als ich fertig war, waren sowohl die Bilder als auch meine Hände voll Goldspritzer. Nun kam ich zu Valerie mit der Klage, daß das gar nicht weggehe. Sie gab mir den guten Rat: „Na, so wasch mit Spiritus ab!“ Sie meinte meine Finger und ich die Bilder. Wie ich nun so eifrig wusch, war auf einmal die ganze Farbe weg und die weiße Leinwand grinste mir entgegen. Kannst Dir meinen Schrecken vorstellen. Nun war guter Rat teuer. Bis mir endlich einfiel, die abgewaschenen Farben in Aquarell zu ersetzen. Nun kam aber trotzdem die Angst, wenn es Mutter entdecken würde. Und trotzdem waren wir beide zu feig, es ihr zu sagen.

Na, es ist überstanden worden und unser Heim kann sich rühmen, von mir selbst gemalte Bilder zu beherbergen. Gemalt hab ich sie, aber frag mich nur nicht wie!

Werde aber jetzt nach Hause gehen und dort weiterschreiben.

Ja, denken kann man viel, aber ob’s wahr wird, ist eine andere Frage.

Als ich heimkam, waren die Hrubesch-Mädeln noch hier. Hatten heute nämlich Probe für den Nickel-Sonntag. Auch meine Freundin (Pepperl) war da und nun ist’s fast 10 Uhr. Als anständiger Mensch sollte ich also schlafengehen. Werd’s aber doch nicht tun. Nun Liebster, wenn Du mir das Lied wieder schickst, erspar ich mir die Arbeit des Abschreibens. Und nachdem ich furchtbar faul bin, werd’ ich Dir dafür sehr dankbar sein.

Nun ist’s also doch ein schwarzer Anzug geworden! Trotzdem es nicht praktisch ist. Das freut mich wieder einmal! Aber daß es noch weit ist dahin, bis Du ein ganzer Mensch bist, glaub’ ich doch nicht. Bitte, denk an Emmys Worte: „Von allen, die meinen Weg kreuzten, warst Du der liebste, beste und edelste.“ Meinst Du, daß es da noch weit hin ist zu einem ganzen Menschen? Betreffs der Freiheit des Handelns sind wir wohl wieder einmal einer Meinung. Aber daß man immer zufrieden sein muß, auch wenn’s nicht so kommt, wie man hofft, denk ich doch nicht! Daß man sich dareinfügen muß, ist wohl richtig, aber das so ganz geduldig uns zufrieden zu tun, dazu kann einen doch nichts und niemand zwingen, als höchstens die eigene Klugheit. Ob ich nicht manchmal denke, daß Du recht unvernünftig bist?! Ich könnte die Frage wohl zurückgeben.Übrigens hab’ ich mir das wirklich noch nicht gedacht, und schließlich - ein wenig hätten wir doch beide das Recht dazu, nicht? Nun wäre ich am Ende Deines Briefes angelangt und das Vernünftigste wäre, jetzt schlafenzugehen.

Morgen muß ich aber wieder zu Frl. Schwarz und Du wirst jedenfalls keinen Brief bekommen. Ergo! Weiter!

Zu Schw. Gusterschitz sollte ich auch gehen. Ich brauche eine Auskunft, die mir sonst niemand geben kann. Ich möchte für Weihnachten: „Die Christnachtsglocken zu Amras“ , ein Melodrama, das im Jahre 1910 aufgeführt wurde. Ich weiß aber nicht, von wem es ist. War damals eben noch „fürchterlich“ dumm und hab mich um nichts gekümmert. Schw. Gusterschitz hatte das ganze vorzutragen, also weiß sie es vielleicht doch. Zu Haus ist sie jetzt auch schon, so kann ich sie auch besuchen. Sie wird sich sicher auch riesig freuen, daß Du schon zurück bist, wenn sie auch nicht mehr die personifizierte Liebe ist wie früher. Es hat halt der Krieg auch hier die Überschwenglichkeit ein bißchen gedämpft und unsere „Komponistin in Ekstase“ existiert nicht mehr.

Hast Du dies Bild in der Zeitung gesehen? Ich denke, bei Ehlers hatte man es sicher. Ich besitze übrigens zwei Exemplare davon. Wenn Du’s also nicht hast, kannst Du Dir’s ansehen, wenn Du wiederkommst. Wenn’s nur schon so weit wäre! Ich wollte, wir schrieben schon Dezember. Zwar vergeht die Zeit ziemlich schnell, ist’s doch heute schon 4 Wochen, daß Du wegfuhrst und just ein Monat, daß wir hinter Herrn Beethovens Rücken die ersten Liebesküsse tauschten. -

Mutter und Hansi veranstalten eben ein Schnarchkonzert, ein Duett! Allerdings ganz pp.

Heute früh hat es nicht nur geregnet, sondern sogar ein bißchen geschneit. Ein recht angenehmes Wetter. Berta kommt jetzt immer nähen ins Geschäft. Wir kochen, damit wir nicht ganz erfrieren. Ich glaube zwar, wir würden das auch allein zusammenbringen, aber sie ist doch stolz auf ihre Unentbehrlichkeit! Na, läßt man ihr eben die Freude! Von dem Einbruch hört man weiter nichts. Berta vermutet, daß es jemand vom Haus sei. Mein Verdacht jedoch richtet sich hauptsächlich auf die beiden Männer, die immer kamen und uns Ware brachten. Den einen (Gustl) kennst Du ja. Angeblich sind sie zwar in der Steiermark. Gustl schrieb mir sogar einige Karten. Und doch traue ich dem allen nicht. Auch hat mir eine Kunde

[Schluß fehlt]

Freitag, 22. X.20.

Mein einzig Lieb!

War ganz weg, als ich Deinen lieben Brief las. Das war wohl für Dich, mein armes Kind, eine Aufregung, als Du den Einbruch entdecktest. Seid Ihr nicht assekuriert? Ob es besser gewesen wäre, wenn Du dort geschlafen hättest, ist fraglich; es wäre vielleicht das und noch obendrein Dir etwas passiert. Nun zähle mich aber auch zu den neugierigen Leuten und schreib mir Näheres, bitte. Es scheint wirklich eine „saumäßige Wirtschaft“ zu sein, denn ich habe vom letzten Mittwoch überhaupt keinen Brief und von Sonntag (7) und Montag, wo ich doch annehme, daß Du bestimmt geschrieben hast, nichts bekommen. Probiere es einmal und schreib unter dieser Adresse: R. S., p. Adr. Gluscha, U. Olsa Kol, Freyniete 192, C. Schlesien. Es ist dies nämlich meine Wohnung. Beim Müller ist’s auch möglich, daß etwas verloren geht. Muß wieder mit Blei weiterschreiben, denn meine Feder pariert wieder einmal nicht. Mitzis Brief freut auch mich, und ich bitte Dich um ihre Adresse, da ich ihr eine Karte senden will. Ob Du den Rat befolgen sollst?

I don’t know.

Mein Lieb, wie unendlich glücklich bin ich, daß ich Dich habe! Schau, bei wievielen würde manches, was ich Dir schrieb, Zweifel an meiner Liebe hervorrufen, sie würden sich sagen, wie kann man denn aufrichtig lieben, wenn man noch eine alte Liebe im Herzen hat. Nur Du, Gretel, verstehst mich und hilfst mir tragen, und durch diese große Liebe wirst Du mich am besten genesen sehen, ja, ich glaube sagen zu dürfen, daß ich nach der Genesung bin. Seit dem Brief Emmys ist mir nun vieles leichter, denn jetzt hab’ ich wenigstens die Genugtuung, daß man so über mich denkt, wie’s wirklich ist. Denke nicht, Du Gute, daß mir die Nachtruhe ein Opfer war, nein, gewiß nicht! Hätte ich dadurch nur Gelegenheit, im Geiste ein paar Stunden länger bei Dir zu sein!

Nur wußte ich schon wirklich nicht, daß Du so ein Justament-Mädel bist. Wenn nun aber Dein Widerspruchsgeist mit dem meinen, denn auch in mir ist oft solcher, zusammenkommt, was dann? Dann müssen wir wohl zeigen, daß wir die Herren sind und diese Schlimmen auseinanderjagen. Gelt, so wird’s gehen!

Muß Dir natürlich gleich mitteilen, daß auch bei mir, und zufällig heute, Dein Bild einen Ehrenplatz auf meinem Tische bekommen hat. Habe heute nachmittag aus Aluminium einen Rahmen oder besser Ständer gemacht und da habe ich Dich jetzt jederzeit vor mir und kann Dich immer sehen.

Heute hätte ich beinahe nicht schreiben können. Wie ich anfangen wollte, sah ich ganz erstaunt, daß ich kein Briefpapier hatte, suchte alles durch, bis ich diesen Bogen an einer Montagevorschrift aus Konstantinopel fand. Auch eine saumäßige Wirtschaft.

Wie heißt das Stück, in dem Ihr Sonntag wart? Freue mich, daß es Dir gefallen, und hätte gern ein bißchen mit Dir gelacht. Werde wohl Dein Bild noch umdrehen müssen! Schaue und denke und soll doch schreiben. Weißt, mein Lieb, schreib aber nicht alles an die neue Adresse sondern einmal neu und einmal alt, sonst krieg ich zum Schluß gar nichts.

Nun, liebe Gretel, schlaf wohl, Du wirst schon schlafen, und träume was Schönes.

In innigster Liebe

Dein Robert

Wien, 23. X.1920

Liebster Robert!

Als ich gestern abends, es war schon ziemlich spät, nach Hause kam, schwelgte ich erst noch in alten Liedern, die ich bei Frl. Schwarz entdeckt hatte. Es waren einige Studentenlieder, deren Text mir halb und halb entschwunden war, die aber, soviel ich mich erinnern kann, von meinen Geschwistern gern gesungen wurden. Ich saß also noch in Hut und Mantel und sang. Endlich fragte Mutter, ob ich den Brief schon gelesen habe, der nachmittag gekommen war. Und so begann ich zu lesen, was mich wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf. Die Aussichten für Dein Kommen sind also sehr gering?! Ich bin ganz trostlos darüber, obwohl ich mir alle erdenkliche Mühe gebe, vernünftig zu sein. Ich sehe ganz gut ein, daß Herr Kulhanek zu Weihnachten Urlaub haben will, wenn er schon seit Jänner nicht zu Hause war. Andererseits freut’s mich auch, daß er so viel Vertrauen in Dich setzt, Dir seine Vertretung anzutragen.

Eine gute Seite hätte das „Ding“ also, aber wo bleibt die zweite? Ist das etwa auch gut, wenn wir einander so lange nicht sehen? Übrigens, wenn’s nicht anders geht, muß man eben „das Unvermeidliche mit Würde tragen“ . Wie ich das zu Stande bringe, ist mir freilich vorläufig noch ein Rätsel! Macht mir doch jeder Tag die Trennung schwerer, immer sehnsüchtiger zähle ich die Stunden bis zu Deiner Wiederkehr! Trotzdem ich eigentlich hätte lernen können geduldig zu sein, während der 6 Jahre Deiner Abwesenheit.

Noch dünkt mich manchmal alles nur ein Traum zu sein, Dein Hiersein, Deine Liebe und ich bin so froh, daß es kein unliebsames Erwachen daraus gibt.

Der Bericht über die Deinen und Euer glückliches Familienleben hat mich ganz seltsam berührt. Kind, ob ich wohl jemals im Stande sein werde so gut zu sein wie Dein Mütterlein! Ich wollte, Mama wäre noch hier um mir zu helfen, Dich glücklich zu machen und um unseren Bund zu segnen! Nun versteh’ ich Deine Art noch viel besser! Neben solcher Mutter in solchem Familienkreise konntest Du kaum anders werden als Du bist.

Liebster, auch meine Mutter ist gut, nur haben wir uns leider lange nicht zusammengefunden. Ich glaube, wir lernten uns erst nach Valeries Tod so recht kennen. Ich weiß nicht, wie’s gewesen wäre, wenn Vater gelebt hätte. So aber mußte Mutter arbeiten, nicht nur bei Tag und auch die halben und mehr als die halben Nächte, um uns Kinder fortzubringen. Da fand sie wohl nicht Zeit daran zu denken, daß man nicht nur für des Leibes Notdurft zu sorgen hat, sondern vielleicht ein liebes Wort oft erquickender ist als Speise und Trank.

Ich will Mutter hiemit keinen Vorwurf machen. Sie hat für uns mehr getan als sie vielleicht sollte, wenn man die Dinge mit Vernunft betrachtet. Und daß wir einander nicht verstanden hatten, liegt wohl daran, daß ich mehr nach meines Vaters Art geraten bin. Viel lag eben an mir die Schuld. Zum Beispiel war ich als Kind sehr eifersüchtig auf meine Schwester. Sie war ja Mutters Liebling, aber warum neidete ich ihr’s? Ich hatte mein Schwesterlein doch selbst so unsäglich lieb. Und nichts brachte mir so viel Leid als die unklaren Verhältnisse unter denen Mutter und Valerie später zu einander standen. Ich liebte Valerie so sehr und wußte doch, daß auf Mutters Seite das Recht war.

Weißt, mein Lieb, ich will jetzt lieber nicht davon schreiben, es regt mich auch heute noch zu sehr auf und dann erfriere ich am Ende ganz, denn bei der geringsten Aufregung zitt’re ich vor Kälte. Also zu etwas anderem! Fritz ist vorgestern mit Anna G. heimgekommen. Er meint, sie wird nicht mehr lange leben. Und sie lebt doch so gern. Mit Br. Huber hat Fritzl wieder einmal gestritten. Bin neugierig, ob Huber sich einmal anders besinnt. Ich glaube es nicht. So ein oberösterreichischer „Mostschädel“ ist so leicht nicht zur Vernunft zu bringen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Br. Huber liebt es, wenn möglich den ganzen Tag über das Evangelium zu diskutieren. Und da Thilde immer darauf eingeht, auch ziemlich gut schmeicheln kann, worauf er viel hält, hat sie eben einen Stein im Brett bei ihm, noch etwas was dabei sehr ins Gewicht fällt, ist ihre glänzende Redegabe. Da wird es Fritz eben nicht gelingen, die Sachlage zu ändern. Jetzt ist mir das alles ja ziemlich gleich, aber es hat eine Zeit gegeben, wo ich so froh war, weil ich dachte, Br. Huber hätte mich auch ein wenig gern. Das war voriges Jahr im Jänner. Br. Huber war sehr schwer krank und jammerte und klagte die ganzen Nächte. Ich sah, daß Schw. Huber es nicht mehr leisten könne, bei Tag zu arbeiten und die Nächte mit der Pflege des Kranken zuzubringen. Da bat ich sie, ob ich nicht helfen darf. Sie nahm mein Anerbieten an und ich wachte so manche Nacht an seinem Bette. Damals fanden wir uns ein wenig zusammen. Er erzählte mir viel aus der Vergangenheit und vergaß darüber ein bißchen auf seine Schmerzen. Damals sagte er selbst, er weiß nicht, was er tun wird, wenn ich heimfahre. Aber als die Krankheit vorbei, war auch das bisserl Liebe vergessen!

Aber ich komm’ immer auf Dinge, die ich ja gar nicht schreiben will.

Also Fritz war gestern vormittag bei uns (in der Wohnung). Nun hat Berta wieder so ein „Stückchen“ aufgeführt. Sie machte Fritz einen regelrechten Heiratsantrag. So z. B., er soll die Poldi und die Kinder nach Amerika schicken und soll sie dann heiraten. Auch eine Idee! Was? Dabei behauptet sie immer, ich sei verrückt, unzurechnungsfähig u.s.w.

Morgen findet das zweite Konzert statt. Freue mich schon sehr darauf. Wenn ich Dich nur mitnehmen könnte. Diesmal werd’ ich übrigens versuchen, Dir das Konzert zu beschreiben. Wenn ich von vornherein weiß, daß ich’s tuen soll, gelingt es mir vielleicht doch. Obzwar, da jede Beschreibung eigentlich persönliches Empfinden ist, und das doch kaum bei zwei Menschen vollkommen das gleiche sein dürfte.

Du wirst wohl wieder im Wald sein, morgen. Ich wollte so gerne, ich könnte bei Dir sein! Aber leider! Wenn ich wenigstens jetzt beim Nachhausekommen einen Brief von Dir vorfinden würde, das macht mich morgen für den ganzen Tag froh.

Mitzis Brief brauchst Du mir nicht zurücksenden, wenn’s nicht schon geschehen ist. Ob Du den Brief verbrennst oder ich, ist ja ganz gleich. Vernichtet aber wird jegliche Korrespondenz, außer der Deinen und der Br. Fuhrimans.

Viele innige Küsse von Deiner

Gretel

Samstag, 23. X.20.

Mein einzig Lieb!

Es zahlt sich eigentlich gar nicht aus, daß ich anfange, denn ich muß ja so gleich essen, aber es drängt mich, es Dir jetzt mitzuteilen, daß ich wieder meine Toilette ein wenig vervollständigte. Es kam heute ausnahmsweise schon das Geld und da ging ich gleich nachmittags und kaufte mir ein paar schöne amerikanische Schuhe und fünf Paar Socken. Kann also schon wieder abbrennen! Nächste Woche kommt ein Hut dran und noch was, aber das schreib’ ich Dir einstweilen nicht! Mußt nicht neugierig sein!

Als ich heute auf meinem Wege unseren andern Monteur traf, sagte er, daß bei Müller ein Brief für mich sei. Na, dachte ich, gewiß von der Gretel. Aber leider war er von Schuckert. Sie sandten mir wieder eine Paßanweisung zur Unterschrift. „Diesmal aber nichts anderes als die Unterschrift“ , als ob ich das zuerst schon riechen konnte. Na, bis Weihnachten werde ich hoffentlich den Paß schon haben. Nun geh’ ich, leb wohl, einstweilen!

Heute hätte ich Dich sehr notwendig gebraucht und zwar, weil mir meine Hose um 3 cm zu lang ist. Ich kann zwar nähen, aber da drüber trau ich mich doch nicht. Hab’s daher unserer Wirtin Töchterlein übergeben. Das ist wieder einmal recht egoistisch, gelt?

Sag mir, Liebste, wenn’s nicht vielleicht diskret ist, wer ist den dieser F. von Mitzi? Vergiß nicht die Adresse, geschrieben habe ich ihr schon, auch, daß ich mich schon auf das herzhafte Busserl g’freu’.

Sonntag, 24. X.20.

Liebste Gretel!

Darfst nicht böse sein, wenn ich gestern den Brief nicht fertigschrieb. Weißt, mir war kalt, da setzte ich mich zum Ofen und schlief ein. So ein Schlafhansel, gelt!? Als ich aufwachte, war’s schon halb 11, und da kroch ich gleich ins Bett, von welchem ich erst um halb 9 aufstand. Beinahe hätte ich wieder den Kaffee ins Bett bekommen, auf den Du so verzichtest. Mir schmeckt er aber doch! Weißt, mein Lieb, es ist Gerstenkaffee, denn Bohnenkaffee gibt’s hier selten. Mit Ziegenmilch. Eben rettete ich meiner Zimmergenossin das Leben. Dieselbe verspürte wahrscheinlich, weil heute Sonntag ist, Lust, auch in schwarz zu gehen und kroch ins Tintenflaschl, wo ich sie ’rumrudern sah, bis ich ihr den Federstiel hineinsteckte und auf welchem sie, wie auf einem Maibaum, ’raufkletterte, ins rosige Licht. Nun sitzt sie auf der Lampe und putzt sich Flügel, Vorder-, Mittel- und Hinterbeine. Großartig interessant!! Gelt? Das ist für heute ein Brief auf Raten. Hab’ mich nämlich grad inzwischen ein bißchen geärgert, weil ich erfuhr, daß meine Wäsche noch nicht fertig ist. Nun soll ich mich „in Gala“ werfen und hab’ kein Hemd. Ist das nicht ärgerlich? Hätt’ ich das gestern gewußt, hätte ich mir noch eines kaufen können. Na ja, ’s ist eben so!

Eigentlich ärgere ich mich hier sehr wenig. Über was denn auch. Höchstens über mich, wenn ich dumme Stückeln mach’, wie Stiefel und Socken verbrennen u.dergl. Sonst komme ich mit allen Menschen ohne Ärger aus. Selbst mit dem sich selbst immer ärgernden H. Kulhanek. Mit ihm komme ich jeden Tag besser aus, und trotzdem er den andern, die mit ihm zu tun haben, ein wahres Ekel ist, hab ich ihn ganz gern. Man muß nur einen Menschen zu behandeln wissen. Er gehörte auch schon zu den alten Leuten, mit welchen man öfters in dieser oder jener Hinsicht, Rücksicht haben muß. Übrigens wollte er auch mit mir zu nörgeln anfangen bei der Arbeit. Aber ich bin in dieser Hinsicht, wenn kein wirklicher Grund vorhanden ist, sehr feinfühlig und, als er bei der Vollendung der ersten Kolonne anfing, ließ ich ihn ganz einfach stehen, ging zu meiner Arbeit, d.h., stieg am Mast ’nauf. Da stand er nun unten, und wußte nicht, was er tun sollte. Nach einer Weile rief er: „Ja, Herr Schröfl, ich hab Ihnen noch den Transformator zeigen wollen!“ Ich: „ah sooo“ und stieg wieder oba. Dann zeigte er mir das Nötige und zum Schluß bemerkte er, daß er doch schon alt und sehr nervös sei. „Denn mit dera ölendigen Saubagasch kumt ma ja ganz aus dem Häusl!“ Da sagte ich ihm auch auf gut deutsch, besser gut weanerisch, meine Meinung, und die Sache war erledigt. Seitdem fängt er nicht mehr an, im Gegenteil, kommt, wenn er irgendetwas am Herzen hat, zu mir. Letzte Woche war er recht schlecht beisammen, er hatte fürchterlichen Durchfall. Nichtsdestoweniger waren seine Erzählungen über diese dabei durchwachten Nächte urdrollig und wir mußten beide herzlich darüber lachen. ’s ist mir leider aus ästhetischen Gründen unmöglich, Dir darüber zu schreiben.

Pause, ca. 2 Stunden.

Zwar hat’s ein bissel länger gedauert, aber das macht ja nichts. War wieder in meinem lieben Wald. Das ist so schön hier, daß man gleich draußen ist und die Natur genießen kann. Ich hab sie so gern und ist auch das - nein, das Schönste ist die Liebe - aber dann kommt gleich die Natur und aus beiden ergibt sich eigentlich alles andere. Wie denkst Du darüber? Nun, mein Schatz, morgen wird doch was kommen! Daß die Post zu ist an Sonntagen, ist mir gar nicht recht. Möchte es mir ja gern selbst holen.

Ist betreffs Einbruchs noch nichts eruiert? Auf der Karte vom 19. X. schreibst Du mir, daß Du den Verdacht gegen Konrad zurücknimmst. Kann mich aber nicht erinnern, daß Du mir jemals etwas davon sagtest oder schriebst. Bist Du mit Emmy schon zusammengekommen? Grüß die Deinen herzlichst.

Mit vielen innigen Küssen

Dein Robert

Wien, 25. X.1920

Mein Liebling!

Na, die Überschrift steht schon vier Stunden da und jetzt erst komme ich dazu, auch zu schreiben. Fast wärest Du um den Brief gekommen. Aber ich will lieber der Reihe nach erzählen. War heute bis drei Uhr zu Haus, um Bertas Mantel zu nähen. Werde jedenfalls auch während der nächsten Tag wenigstens teilweise daheim sein, weil sie noch verschiedenes zu nähen hat. Also um halb 4 kam ich ins Geschäft. Wollte gleich beginnen, Dir zu schreiben, aber es hat nicht sollen sein. Um 5 Uhr erschien Hansi mit dem Auftrag, daß ich um halb 7 Uhr in der Oper zu erscheinen hätte, viel Freude hat’s mir nicht gemacht. Erstens hatte ich mich gerade vorher geärgert über zwei Bestellungen, die unnützer und unsinnigerweise gemacht worden waren. 2tens hatte und habe ich furchtbare Kopfschmerzen. Da ist’s mir immer lieber, ich muß nicht sprechen. In solchem Zustand aber mit Leuten zusammenzutreffen, die mir mehr als gleichgültig sind, ist mir eine wahre Qual. Ärger und Eile haben’s wohl verursacht, daß ich nur die Nummer der Loge nicht aber den Rang beachtete. So konnte ich die Herrschaften nicht finden. Berta wird sich jedenfalls sehr ärgern, ich aber bin fast froh darüber. Bei meinen heutigen Kopfschmerzen wäre mir die Oper doch kein rechter Genuß, sondern eher das Gegenteil gewesen. Und wahrscheinlich wären wir nachher erst gegen 12 nach Haus gekommen, dazu hab’ ich gar keine Lust. Ferner hätt’ ich heute gar nicht mit Dir plaudern können, was mir auch nicht lieb war.

Herzlichen Dank für die Fortsetzung Deiner „Biographie“ . Aber eigentlich solltest Du Dich schämen, so furchtsam zu sein. Nicht einmal ich fürchtete die Schule, und wir Mädels hätten doch das Privilegium darauf, furchtsam zu sein. Es war nur gut, daß Dich Dein Herr Lehrer so schnell zur Vernunft brachte.

Dein Schwesterchen gewann ich schon aus Deiner Beschreibung lieb und wünsche mir, daß auch sie mir ein wenig Liebe entgegenbringen möge.

An Papa erinnere ich mich allerdings - sogar ziemlich gut. Übrigens hab’ ich ihn vor kurzem erst gesehen, freilich nur von ferne.

Also Du willst nicht jammern, tust’s aber doch! Und entgegen meiner Gewohnheit vertrage ich’s sogar! Wohl nur, weil ich selbst so unbändige Sehnsucht nach Dir habe, Liebster! Emmy sagte zwar gestern, wenn wir die Trennung 6 Jahre ertragen haben, werden wir’s auch noch länger ertragen. Das ist aber doch nicht so ganz dasselbe. In ersterem Falle wär’s vielleicht sogar besser und deshalb wünschenswerter gewesen, daß wir einander nicht sahen. Jetzt aber, bei veränderter Sachlage, wird meine Sehnsucht eben unbezwingbar.

Ob mein Sprechen mit Emmy ihr viel genützt hat, weiß ich nicht. Es lastet zuviel Kummer auf dem Mädel. Von draußen, von drinnen, dazu das Leid um Dich! Emmy ist wirklich viel älter geworden seit ich sie das letzte Mal sah! Sie meint, Du habest ihr in Deinem Brief gewissermaßen „den Handschuh vor die Füße geworfen“ . Ich denke, das ist wieder mal so eine übertriebene Auffassung! Gelt, Du schreibst ihr ein paar liebe Zeilen!? Immer noch möchte sie so gerne, daß ich am 1. XI. mit ihr nach Gloggnitz fahre. Ob Frau Dont unter den gegeb’nen Umständen sehr erfreut wäre, mich zu sehen?!

Eben schlägt’s auch hier die „anständige“ Stunde, werde also geschwind ins Bett schlüpfen. Heute wird die Schmierasch wohl noch weniger zu lesen sein als gewöhnlich. Ich sehe nämlich fast nichts. Bin wie immer Dich innig küssend

Deine Gretel

26. X.1920

Mein Liebstes!

Habe noch ein halbes Stündchen Zeit, ehe ich zur Bibelstunde muß, und werde daher schnell den Brief fertigmachen. Meine Hoffnung, daß mein Kopfweh bis heute früh geschwunden sein wird, erwies sich als trügerisch. Nun aber hat sich’s im Laufe des Tages so ziemlich verloren. Bin gar nicht bös darüber. Nun, Kind, Kohlen bekommen wir für’s Geschäft nicht. Werden jedenfalls auch sehr wenig heizen. Brauchst Dich jedoch deshalb nicht um mich zu sorgen!! Ich werd’ schon aufpassen, daß ich nicht erfriere und mich anzieh’n, als müßte ich eine Nordpolreise antreten. Bitte also keine Angst um meine Gesundheit. Ich war doch noch nie ernstlich krank, wie ich Dir bereits sagte, und wenn ich von Zeit zu Zeit mal Kopfweh krieg’, ist auch das kein Grund, sich irgendwelche Sorgen zu machen. Übrigens verspreche ich Dir gerne, so viel als möglich auf mich achtzugeben! Denn, da ich nun Dein Eigen bin, bin ich doch nur mehr mir anvertrautes Gut, und das muß man doch immer viel besser hüten als sein Eigentum. Dummes Zeug, gelt, Schatz? Ich merke selbst, daß der Schmerz verflogen ist. Sag, Liebster, wie konntest Du denken, daß mir die Abbittegeschichte irgendwie nahe geht? Da wär’ ich schön dumm, wenn ich mir die Sache zu Herzen nehmen wollte! Ich denk’ viel lieber an mein Glück, an Dich, mein Robert! Schade, daß Dein Wunsch, vermittelst eines Briefkuverts zu mir zu kommen, unerfüllbar ist. Wie glücklich wäre ich, wenn der „struppige Kopf“ (könntest Dich auch ganz ordentlich frisieren) herausgucken würde! Aber andere Leute sollst Du doch nicht so beneiden. „Glückliche Menschen.“ Den Seufzer hab’ ich fast gehört. Schau, Liebstes, einmal nimmt doch auch für uns die Zeit der Trennung ein Ende! Dann aber werden wir sicher zu den glückseligsten Menschen der Erde zählen!

Die Karte „Das Ende“ werde ich jedenfalls nicht mehr bekommen, wenn der Herr auch noch so hübsch und fesch wäre. Meinst Du übrigens, es sei mir in dem Fall verlockender gewesen, Deine Bitte zu erfüllen, als wenn der Herr alt und häßlich gewesen wäre? Mensch bleibt Mensch und wenn ich irgendjemandem einen Wunsch erfüllen kann, tu ich’s von Herzen gern. Werd’ also noch Umschau halten, doch soll er sich an den Gedanken gewöhnen, daß seine Liebe aussichtslos ist.

Ich glaube, Du hast meinen Brief vom 18. nicht erhalten, denn Du bestätigst mir bloß die Karte vom 19. X. Solltest Du den Brief wirklich nicht bekommen haben …

[Schluß fehlt]

Montag, 25. X.20

Mein innigstgeliebter Schatz!

Sendete zwar schon eine Karte, daß ich heute nicht schreiben werde, aber ich seh’, es geht ja doch nicht, ohne mit Dir zu plaudern, umsomehr als ich Dir doch zwei Briefe zu beantworten habe.

Nach 12tägiger Reise kam das Schreiben vom 13. X. heute früh an. Vorerst meinen herzlichen Dank, hinterdrein aber, bitte, auch die Adresse voll zu schreiben. Es fehlt nämlich „Gasth. Müller“ und da machte wahrscheinlich der Brief erst die ganze Wanderung durchs Werk. Jetzt fehlt mir noch ein Brief vom 17.od.18. X.

Aber jetzt, mein Lieb, zur Beantwortung. Wenty lernte ich erst im 18er Jahr kennen. Habe heute wieder einen Brief von ihm bekommen und lege Dir den ersten bei.

Wie ich dachte über Dein Herkommen, Gretel, weißt Du ja am besten. Uns beiden wäre es nur große Freude gewesen, wenn wir einige glückliche Stunden einander gehabt hätten; waren uns doch in Wien so wenig beschieden. In dieser Hinsicht kann ich nur so denken, wie Du bist. Ein besser gibt es nicht! Ist uns beiden doch sonnenklar und das ist die Hauptsache!

Mein Kind, ich weiß, daß es für Dich ein herber Schmerz gewesen ist, als Du Valerie verlorst. Ein liebendes Schwesterherz ist nicht zu ersetzen. Aber Gretel schau, auch ich hab Dich so sehr lieb!

Ob ich Dich doch noch umdrehen soll? Sitze nun schon fast eine Stunde und - spinne. Dachte an vergangene Zeiten. Wie ich eingeführt wurde in der Gemeinde, Du fielst mir schon immer auf durch Dein ruhiges Wesen und auch Dein Alt. An unsere Programme, unsere damaligen Kinder, Weihnachtsfeste, ich glaub’ es war Hansi: „Das ist ja ganz prächtig und freut mich mächtig…“ u.s.w., nicht? Dann, wie Fredy im Kinderwagen kam. Wie ich später auch zu Euch kam. Als wir dann abends so beisammen bei der Nähmaschine saßen und nachher unsere fast täglichen Spaziergänge machten - schön scheint die Vergangenheit, noch schöner aber ist jetzt, am allerglücklichsten wird uns die Zukunft machen.

Mit Emmy wirst Du vielleicht schon gesprochen haben. Wenty schrieb mir heute: „Und diesmal kannst Du mir nicht helfen, denn was ich brauche, um aus diesem seelischen Labyrinth herauszukommen, kann mir nur ein Weib geben.“ Ob bei Emmy nicht das Gegenteil der Fall wäre?

Leider habe ich Deines Bruders Zeichnungen nicht gesehen, nur das Bild, welches einen Sturm am Meer darstellt. Über Deine Aquarellmalerei mußte ich lachen.

Warum ich aufhörte zu malen? Weißt, als ich nach Wien zu Ehlers zog, da ließ ich so manches. Während der Lehrzeit war ich, Berta möchte sagen: „ein ganz närrisches Luder“ . Schon als Kind mit 12 Jahren las ich mit Vorliebe naturwissenschaftliche Bücher, Häckel, Darwin. Wohl verstand ich manches nicht, doch der Drang zum Wissen wurde dadurch nur verstärkt. In der Lehrzeit nun hatte ich meinen Lehrkollegen, welcher ebenfalls denselben Wissensdrang hatte. Wir lernten neben unserem Beruf auch noch miteinander Geologie, Meteorologie, Astronomie. Natürlich nur das hauptsächlichste, soweit es eben unsere Zeit und geistige Fähigkeit zuließ. Sonntag wanderten wir in Steinbrüche, nach Fossilien suchend, machten uns selbst Hygrometer, auch Barometer zum Wetterprophezeihen (das eine profitierten wir wenigstens, daß es eine gesunde und geistige Zerstreuung war). Abends lag ich stundenlang am Rücken im Grase, bewaffnet mit dem „Zeiss“ meines Bruders und guckte auf die Sterne, in der Früh stand ich schon um halb 4 Uhr auf und fing an zu malen. Einmal fragte mich ein Herr auf der Bahn, ob ich Anstreicher lerne, weil ich so nach Farben roch. Kannst Dir meine Entrüstung vorstellen. Olga fragte mich oft: „Na, wannst Du g’scheit bist, waß i a net?“

Nun, mein Lieb, ist’s Zeit zum Schlafen. Träume recht süß. Mit tausend Küssen

Dein Robert

Dienstag, 26. X.20

Liebste Gretel!

War heute wieder so glücklich, von Dir den Brief vom 23. und die Karte vom 24. X. zu empfangen, danke Dir herzlichst dafür.

Doch noch ein wenig zu dem gestern erhaltenen. Wer krank war, weiß ich erst recht nicht. Bringe jetzt alle Schwestern durcheinander. Sag, war es die alte Schw. Gattringer?

Freute mich recht an den Programmen am Nickelsonntag teilzunehmen. Doch da’s nicht sein kann, nun, kann doch wieder nichts anderes tun, als mit dem „zufrieden sein“ , daß ich doch von meinem Liebchen erfahre, was es Schönes gegeben. Hast Du schon die „Weihnachtsglocken zu Amras“ ? Erinnere mich, daß mir Friedel davon erzählte. Was ist eigentlich mit Schw. Gusterschitz? Du schrieb mir’s wohl in die Gefangenschaft, aber - hab es natürlich schon wieder vergessen. Das Bild über die „Organistin in Ekstase“ kenne ich, und zwar habe ich es bei Euch gesehen.

Eigentümlich habe ich sofort beim Lesen über den Einbruch mich an das Gespräch mit „Gustl“ erinnert, betreffs des unversicherten Fensters und leichten Einbrechens. Ob er nicht doch im Zusammenhang mit der Sache steht?

So, und jetzt zum Heutigen!

Herzlieb, mach Dir noch keine Sorgen wegen Weihnachten! Man muß doch immer erst die Zeit herankommen lassen. Wenty sagte immer: „Alles scheitert an der Tatsache.“ Und es ist auch so. So vieles nimmt man sich vor und wenn dann die Zeit zur Ausführung herankommt, zerrinnt alles in nichts. Aber auch umgekehrt ist’s der Fall. Hätten wir uns vor nur zwei Monaten träumen lassen von unserem Glück? Daher, meine Gretel, hoffen wir das Günstigste.

Das Verhältnis zwischen H. Kulhanek wird ein immer engeres und ich bemerke, daß wir trotz des Altersunterschiedes in vielem zueinander passen. Auch ein von den Durchschnittsmenschen nicht verstandener Mann!

Eine große Sorge, mein Kind, macht mir, daß Du unter der Kälte so zu leiden hast, und doch ist’s kaum zu ändern. Siehst Du, da ist ein Fall, wo ich einmal nicht zufrieden sein kann! Ich weiß, was Du mir antworten würdest, wenn ich sagte, ob es nicht ginge, daß Du und Berta Euch gegenseitig ablösen möchtet. Aber das Eine, Grete, bitte ich Dich, schau in jeder Weise auf Deine Gesundheit. Gelt, das wirst Du tun, damit Du mir nicht krank wirst!

Bertas „Stückchen“ mit Fritz ist eben recht bertaisch.

Warum verbrennst Du eigentlich alle Deine Post außer unserer (rechne Br. F. nämlich auch zu uns).

Emmy war Sonntag bei Dir! Nun erwarte ich umsomehr mit Sehnsucht Deinen nächsten Brief. Wenn’s gut geht, kann er morgen abend hier sein. Am 28. ist hier Feiertag. 2 Jahre seit der Gründung der cech.slov. Republik. Wir Ausländer werden aber wahrscheinlich arbeiten. Es ist doch so Sonntag und Montag (Allerheiligen) frei. Je mehr wir arbeiten, desto schneller werden wir fertig und desto näher das Wiedersehen! Nun, mein Einziges, leb wohl und träume alles Schöne. In Sehnsucht

Dein Robert

Mittwoch 27. X.20

Herzlieb!

Werde wohl nicht weit kommen mit dem Schreiben, bin sehr schläfrig, trotzdem es erst halb 9 Uhr ist. Das macht wohl das Wetter. Hier regnet’s schon den ganzen Tag und es ist gut, daß morgen Feiertag ist. Zwar arbeiten wir, doch nur am Papier, weil’s von der Regierung verboten ist. Da ist wahrscheinlich die Post auch zu. Also warten wir bis Freitag!

Auf Dein liebes Schreiben vom 23. X zurückkommend, wie überglücklich ich wäre, wenn meine Mama leben würde, kannst Du ja begreifen. War’s doch ihr, am Vortag ihres Todes geäußerter Wunsch, daß sie wenigstens erleben möchte, daß ich etwas erlerne, das mir meine Zukunft sichert. Es war ihr leider nicht vergönnt! Aber ich glaube doch, mein Lieb, daß Du mich auch ohne Mamas Hilfe glücklich machst, nicht nur glaube ich das, ich weiß es auch. Bist Du doch selbst mein Glück, mein Alles.

Donnerstag, 28. X.20.

Meine liebste Gretel!

Eben aus dem Wald zurückgekehrt, und ich habe so kalte Hände, daß ich kaum schreiben kann. Eine Neuigkeit! ich habe einen Zimmergenossen bekommen, derselbe ist aber noch nicht auf der Bildfläche erschienen. Nur seine Koffer sind bereits da. Ist mir übrigens gar nicht recht, denn nun kann ich mit Dir, Liebchen, nicht mehr ganz so allein sein. Es scheint zwar, daß er nur einige Tage da bleibt, aber, ich weiß was! Werde ganz einfach in unsere Werkstatt gehen, wenn ich mit Dir plaudern will, da stört uns niemand, höchstens ein Mauserl. Eben ist mein neuer Kumpan eingetroffen. Na ja, Monteur, das sagt genug. Gasthaus sitzen, aufschneiden, … die Grundzüge der Mehrheit. Es ist das auch nicht sehr übelzunehmen, dieses Herumwandern, allein, bringt das mit sich. Sag, hast Du mir das erste Lied schon gesendet? Wenn ja, war es wahrscheinlich in dem Brief, der nicht kam, vom 17. oder 18. Und dann bitte ich Dich, mir nochmals die Skalen aufzuschreiben. Gelt, laß ich Dir gar keine Ruh’? Hab’ ebenfalls ein Schnarchkonzert, aber nicht pp. Bitte erkläre mir, welche Sachlage Fritz bei Br. Huber ändern will. Weißt, ich begreife eigentlich überhaupt nicht die ganze Geschichte.

Für heute leb recht wohl! Mit innigen Küssen

Dein Robert

Wien, 27. X.1920

Liebster!

Heute wäre Valeries Geburtstag. Schade, daß wir ihn nicht feiern können! Eben jetzt, bevor ich ins Geschäft ging, war Emmy bei mir. Auch ein Zufall, daß sie mich zu Hause traf. Sie läßt Dich bitten, Du sollst so lieb sein und wenigstens eine Karte an Frau Dont schicken. Sie beklagt sich immer, daß gar keine Zeile von Dir kommt.

Also soll ich Dich auch zu den neugierigen Leuten zählen. Das tu’ ich aber gar nicht gern! Hast Du vergessen, daß diesen Leuten fast ein Hinauswurf drohte? Aber du weißt wahrscheinlich, daß Dir das nicht passieren kann, gelt? Übrigens hab’ ich Dir ja schon näheres über den Einbruch berichtet. Oder willst Du ganz genau wissen, was man gestohlen hat? Ich hab’ die Liste ja aufgeschrieben! Der Täter wurde bis jetzt und wird, wenigstens nach meiner Meinung, auch in Zukunft nicht eruiert werden. Versichert waren wir nicht. Berta dachte, es sei nicht nötig.

Brauchst nicht gleich über die Wirtschaft schimpfen, wenn Du mal ein oder zwei Briefe nicht bekommst. Bei dem cecho-slovakischen Postverkehr kann’s sogar vorkommen, daß Du sie um 4 bis 5 Wochen später doch noch bekommst. Immerhin eine tröstliche Hoffnung. Ob ich Mitzis Rat befolgen soll, weißt Du nicht! An wen soll ich mich denn um Auskunft wenden? War doch jederzeit, wenn ich ratlos war, mein Denken: „Wenn nur der Robert da wäre!“ Nun bist Du da und hilfst mir erst nicht! Nur gut, daß ich selbst weiß, was ich tun soll, nein, tun muß! Sehr freut’s mich, Liebling, daß Du Dich seit Emmys Brief wohler fühlst. Auch mir hat der Brief die letzten Bedenken geraubt. Das Mitleid mit Lina hat sich wohl noch verstärkt, aber unsere Liebe bedrückt mich nicht mehr als Schuld. Aber warum, Kind, willst Du mich emporheben über andere? Ich bin genauso gut, genauso schlecht, wie die Menschheit im allgemeinen. Und wenn es einige Leute gibt, die mich über den Durchschnitt stellen, so täuschen sie sich eben gewaltig. Daß ich Dich und Dein Leid verstehe und nach Möglichkeit versuchen werde, Dich das vergessen zu lehren, ist doch selbstverständlich.

Daß Du mich immer für besser hältst als ich bin, beweist mir auch das, daß Du von meinem Eigensinn scheinbar gar keine Ahnung hast. Und doch ist dieser Widerspruchsgeist die stärkstentwickelte Eigenschaft, die ich besitze. Daß Du noch nichts gemerkt hast davon, mag dem Umstand zu verdanken sein, daß unser Empfinden wie unsere Ansichten gewöhnlich harmonieren und ich Dich viel zu lieb habe, um Dich zu sekkieren wie andere Leute.

Am meisten hätte sich wohl Konrad darüber zu beklagen. Ihm zu widersprechen macht mir besonderes Vergnügen. Fritz hat sich heute auch kaum mehr zu helfen gewußt, da hat er mir gedroht: „Na wart, i wir da scho helfen, du Hex!“ Ich hab’ ihn aber doch nur ausgelacht. Meistens ist das alles übrigens nur Stänkerei. Im Ernst bin ich viel friedliebender, da geb’ ich sogar manchmal nach, wenn ich nicht sollte.

Also auch bei Dir hat mein Bild einen Ehrenplatz. Da werd’ ich mich bald vor lauter Ehre nicht mehr auskennen. Ich habe aber Dein neues Bild nirgends hingestellt noch aufgehängt, da hätt’ ich doch nichts davon. Ich trag’s lieber immer bei mir.

Wenn Dich aber mein Bild beim Schreiben stört, dann dreh’s nur wirklich um. Ich will nicht um meines toten Ebenbildes willen zu kurz kommen.

Das Stück, bei dem wir am 17. X. waren, hieß: „Der dunkle Punkt“ . Ich hab’ Dir aber versprochen, mich zu bemühen, Dir das sonntägige Konzert zu beschreiben. Bin aber absolut unfähig dazu. Wenn ich mit so gewissermaßen Kritikerohren hören soll, ist das bloß halber Genuß. Da ist’s schon viel besser, ich laß’ es sein und überlaß’ mich meinen Träumen. Einen Teil des Konzerts, nämlich Beethovens „Frühlingssonate“ , findest Du aber in Ganghofers „Waldrausch“ beschrieben, viel schöner als ich es je zustande brächte. Er hatte doch überhaupt ein ganz besonderes Geschick sein Fühlen auszudrücken.

Also Deine Toilette ist bald vollständig. Das freut mich herzlich! Aber ich glaube fast, ’s wird besser sein, wenn Du nicht mehr abbrennst! Und neugierig soll ich auch nicht sein. Ja, warum weckst Du die Neugierde erst, wenn sie nicht am Platze ist.

Eben jetzt ist mir recht kalt, aber leider kann ich mich nicht zum Ofen setzen und einschlafen, da würde ich noch mehr frieren. Daß Du Deine Hose nicht selbst nähtest, finde ich aber gar nicht egoistisch. Das ist doch keine Männerarbeit, ausgenommen die eines Schneiders. Schade, daß ich nicht bei Dir sein kann, möchte Dich ganz gern ein bißchen in Ordnung bringen!

Mitzis F. ist ein Cousin von mir, derselbe, mit dem ich vor Jahren verlobt gewesen. Ich glaube auch den Grund zu kennen, den er ihr nicht angab. Meine Tante war wieder einmal nicht einverstanden und er steht unter dem Pantoffel seiner Mutter. Grund Nro.2: Man liebt die Abwechslung.

Freut mich, wenn Dir der Kaffee doch schmeckt. Ist aber ganz gut, wenn Du ihn gern süß trinkst und ich gern bitter, dann gleicht sich’s wieder aus.

Nur wenn man sonntags kein Hemd hat, ist das allerdings sehr ärgerlich. Einer meiner Cousins (er lebt nicht mehr) hat sich aus demselben Grunde mal total besoffen. Ob die Sache dadurch besser wurde, weiß ich freilich nicht, aber ich bezweifle es. Na, hoffentlich brauchst Du Dich mit solchen Dingen nicht mehr lange ärgern.

Dein Verhältnis zu H. Kulhanek gefällt mir recht gut. Du hast auch recht, man kann mit jedermann auskommen, wenn man ihn zu behandeln versteht.

Wie ich über die Natur denke?! Wohl kaum viel anders als Du selbst. Auch für mich ist sie das Schönste, Beste und Erhabenste, was es gibt. Nirgends, Kind, fühle ich mich andächtiger als wenn ich so einsam durch einen Wald gehe. Freilich ist’s noch schöner, mit einem Menschen, dem man von Herzen zugetan ist!

Weißt, Lieber, was ich mir immer wünsche? Ein ganz kleines Häuschen inmitten des Waldes ganz allein für mich! Ob ich Dich nun auch mitnehmen würde? Was meinst?

Nun ist’s aber höchste Zeit schlafen zu gehen. ’s ist schon nach 11 Uhr.

Hatte die Hrubesch- und die Hawelka-Kinder zur Probe hier. Nun schlafe ich aber schon fast beim Schreiben. Wünsch’ Dir recht süße Träume, so süß wie Dein Kaffee! Viele Grüße von den Meinen, von Emmy und den anderen Geschwistern.

Von mir sei innigst geküßt,

Deine Gretel

Wien, 28. X.1920

Mein Liebstes!

Jetzt ist mir grad ein bisserl wärmer, von so einer richtigen Wärme allerdings keine Idee. Will aber doch, solange mir die Finger nicht wieder ganz steif werden, ein paar Zeilen schreiben! Leider erhielt ich heut’ wieder einmal keinen Brief von Dir! Habe aber die drei Briefe von Dir durchgelesen, die ich den 18. beantwortete, um zu sehen, ob irgendetwas nochmals beantwortet werden muß. ’s hat sich aber mit der Zeit von selbst erledigt. Nur nicht Deines Freundes Brief. Warum hast Du ihn mir doch nicht geschickt? Wo ist Karl überhaupt? Würde mich freuen, ihn persönlich kennenzulernen! Was und wen Du lieb hast, muß ich doch auch liebzugewinnen trachten! Gelt? Also bitte schicke mir den Brief und wenn Du willst und er in Wien ist, auch Deinen Freund selbst. Es hat ja von jeher zu meinen Obliegenheiten gehört, die Trauernden zu trösten. Ich weiß zwar nicht, warum, aber es haben mich schon sehr viele Leute dazu ausersehen, mir ihr Leid zu klagen. Ein Trost liegt wohl und meistens darin, wenn man sich aussprechen kann, und das Bewußtsein hat, von dem andern verstanden zu werden.

Heute war ich zur Abwechslung den ganzen Tag im Geschäft. Berta macht es nämlich ganz besonderes Vergnügen, wenn sie kochen darf, und trotzdem ich auch sehr gerne koche, bringe ich’s doch nicht über’s Herz, ihr diese Freude zu nehmen. Das Mädel sieht übrigens ganz elend aus, obzwar sie immer dicker wird. Wie lang das noch so weitergehen wird? Vorgestern traf sie ihren alten Arzt, der sagte ihr wieder, sie soll sich doch nicht operieren lassen. Sie hat außer einem Tumor noch ein Exsudat. Und so nötig es schon wäre, ersteren operieren zu lassen, das letztere ist noch nicht reif. Ich glaube immer, daß mindestens zwei Drittel dieser Frauenkrankheiten durchaus selbst verschuldet sind.

Also Berta ist krank. Hansi hustet schauderhaft. Trudel hat außer dem Husten auch noch Schnupfen. Nur Mutter und ich sind, wie immer, pumperlg’sund! Die gute Konstitution scheine ich wirklich von Mutter geerbt zu haben, so gut wie ihr Kopfweh! Zum Glück hab’ ich das letztere in bedeutend minderem Maßstab. Nämlich viel weniger oft. Bei Mutter gab es Zeiten, wo sie täglich daran litt. ’s war eben Überanstrengung und zu wenig Schlaf. Sie braucht den Schlaf ebenso notwendig wie ich, wenn sie’s auch nie zugeben wollte.

Eben ehe ich den Brief begann, ist Hansi auf die Bahn gegangen, Mutter abzuholen. Sie kommt nämlich ausnahmsweise schon um 7 Uhr. Bin recht froh, wenn mein Mütterlein wieder da ist. Sie geht mir immer sehr ab! Jetzt geh’ ich aber nach Haus. Habe mir zwar soeben die Finger an einem gebrat’nen Apfel gewärmt, es hält aber gar nicht an. Fortsetzung folgt zu Hause.

So, jetzt haben wir wieder geplaudert und ’s ist 10 Uhr geworden, ehe ich weiterschrieb. Mutter meint, es geht Fredy besser. Wie sehr mich das freut, kannst Du Dir wohl denken. Ist mir doch der Bub nach Dir das liebste Wesen auf der Welt. Wenn er nur gesund würde.

Eine Menge Neuigkeiten von draußen habe ich natürlich auch gehört. Ich kenne ja fast alle die Kinder in Fredy Baracke dem Namen nach; man bemerkt auch recht gut, ob sich die einzelnen Kranken gebessert oder sich ihr Zustand verschlechtert hat. Ein Kind war draußen, das war nichts als ein mit Haut überzogenes Skelett. Als ich den Buben das erste Mal sah, konnte ich den Eindruck tagelang nicht losbringen. Auch Fuhriman war ganz entsetzt, als er ihn erblickte. Heute sagte mir nun Mutter, daß das Kindel gestorben sei. Fredy ist ’s so leid um ihn, weil er so lieb singen konnte. Ich hätte mir gar nicht gedacht, daß das Kind überhaupt fähig war zu singen. Solch ein Wesen, von dem man gar nicht wußte, ist’s ein Mensch oder nicht. Überhaupt sieht man so Schaudervolles da draußen, daß man immer von Herzen dankbar wird für seine Gesundheit.

Heute hab’ ich vormittag endlich Mitzis Brief fertiggeschrieben. Hoffe, daß sie diesmal mit mir zufrieden ist, in betreff des Schreibens nämlich. Sonst ist sie sonderbarerweise immer zufrieden mit mir. Sie hält mich nämlich auch für besser als ich bin. Eine sehr fatale Situation für mich. Man sollte dann eigentlich darauf achten, daß man dieses Urteil nicht zuschanden macht. Und da möcht’ ich mit Fredy und Robert sagen: „I mag ja gar net!“ Kannst Du Dich daran erinnern? ’s war, als Du einrücken mußtest! Nur war das vorgestern schon 6 Jahre, aber in meinem Gedächtnis ist’s, als wär’s erst gestern gewesen.

So wie auch dann der endgültige Abschied Ecke Capistrangasse - Windmühlgasse. Daß ich übrigens just immer zu Deinem Abschied ins Kino gehe, ist eigentlich sonderbar. Damals war’s aber recht gut, denn beim „Pfarrer von Kirchfeld“ war es für das Publikum wie auch vor allem für Mutter weniger auffällig, daß ich so „fürchterlich“ geweint hab. Freilich wußte sie trotzdem, daß meine Träume Dir galten, wie sie auch seit dem Tag wußte, daß Du mich gern hast. Und wenn ich fragte, wieso sie das behaupten kann, es ist nicht wahr, sagte sie mir: „Was ich gesehen hab’, kannst du mir nicht abstreiten. So schaut man nur an Menschen an, den man vom Innersten heraus gern hat.“ Nun hat sie doch recht gehabt, ich erkläre mich aber nur zu gern als besiegt.

Habe mir eben so ein bißchen Dein Bild betrachtet und mir dabei gedacht, warum ich wohl den „struppigen“ Kopf mit all dem was drum und dran hängt so über alles gern haben muß! Weißt Du’s?

Wenn ich Dich nur jetzt so auf ein paar Minuten wirklich da hätte. Das Fotografieren ist ja eine ganz gute und nützliche Sache, aber ich vermisse immer das Leben auf den Bildern, mögen sie auch noch so gut sein! Und wenn ich mir so Dein Bild ein Weilchen betrachte, kommt’s mir immer unnatürlicher vor. Ich hab’ vom Br. F. zum Beispiel drei Bilder, es ist jedes anders, und doch keines so, wie ich ihn im Gedächtnis habe. Weder mit diesem Ernst in der Versammlung, noch mit dem nichtsnutzigen Lächeln in den Augen, wie er gewöhnlich war, noch auch mit diesem lieben guten Blick, der ihm zuweilen eigen war, wenn wir uns grad nicht zankten.

Dein Bild ist übrigens etwas natürlicher, als es gewöhnlich ist!

Nun muß ich aber wirklich schließen, meine Beleuchtung geht auch schlafen. Folgen wir also dem Beispiel! Gute Nacht, Du mein Liebster! Sei herzinnig geküßt von Deiner

Gretel

Freitag, 29. Okt.20.

Mein Lieb!

Endlich ist wieder so ein Nachzügler angekommen. Nämlich Dein lieber Brief vom 19. Aber nicht allein - auch den vom 25. hat er mitgebracht. Also wie Du siehst, bin ich recht glücklich heute.

Nun gleich zur Beantwortung!

Indem daß man immer gute Sachen kaufen soll, auch wenn sie teuer sind, stimmen wir überein. Nun aber, wenn man so wie ich bei dem Anzug gar keine Stoffkenntnis hat, kann man sich eben nur nach dem Preis richten und sich auf die Ehrlichkeit des Verkäufers verlassen. Übrigens sagte man mir später, daß so angehend guter Stoff ist.Über die Idee Bertas betreffs Hansi mußte ich auch lachen. Doch weißt Du, daß mir schon einmal Hansi als Frau angeboten wurde? Das ist wohl schon recht lange her. Es war Friedl, welche mir einmal sagte, als wir vom Heiraten redeten: „Es ist immer besser, der Mann nimmt sich eine junge Frau. Bis du eine Existenz hast, ist Hansi, du hast sie eh so gern, grad heiratsfähig. Die nimm dir zur Frau!“ In diesem Sinne. Ich hatte nämlich Hansi als Kind wirklich sehr gern, glaubte am Anfang immer, daß sie Deine Schwester ist, denn ich finde, daß sie auch jetzt noch sehr viel mit Dir überein hat. Nun, da wir eben bei Hansi sind, möchte ich Dir etwas sagen, was ich schon lange, schon in Wien, am Herzen hatte. Doch bitte ich Dich, Dich in keiner Weise von mir beeinflussen zu lassen, es ist ja einzig und allein Eure Angelegenheit. Ich fände es nämlich sehr notwendig, daß Hansi irgendeinen Beruf, zu dem sie Lust hat, erlernt. Denn setzen wir nur den Fall, daß sie durch irgendwelche Umstände einmal auf sich selbst angewiesen sein möchte, was möchte sie dann anfangen?! Höchstens irgendwo dienen und da denke ich doch, daß sie sich bei ihren geistigen Fähigkeiten irgendwo in einem Beruf ein leichtes und schönes Auskommen schaffen kann. Und auch, wenn wir diesen Fall, was sehr wahrscheinlich ist, nicht zutreffen lassen. Wenn der junge Mensch einen Beruf hat und in sich seine Unabhängigkeit fühlt, so wird er sich, meiner Ansicht, ganz anders entwickeln als gegenteilig. Daß Hansi so bald heiraten wird, glaube ich nicht, denn Du weißt ja von uns, welche Irrwege man gehen muß, um zueinander zu kommen. Dies natürlich nur meine Ansicht, ohne Erwägung irgendwelcher Umstände.

Nun, beinahe zwei Seiten über Hansi. Wieder ein Grund um eifersüchtig zu werden. Bin recht froh, daß wir auch betreffs Eifersucht --- eigentlich Dummheit. Ich schreibe „bin froh“ und Du weißt das ja schon immer.

Bin recht erstaunt, daß Du schon von anderer Seite von den Meinen gehört hast. Hm --- . Ob aber diese „andere Seite“ Gelegenheit hatte, auch nur halbwegs Einblick zu haben? Möglich, aber ich glaube nicht.

Ebenso verstehe ich Emmys Haß gegen Papa gar nicht. Ich glaube, am ersten wäre ich berechtigt, mich darüber aufzuregen, da ich das aber nicht getan hab, im Gegenteil Olga, welche aber, kaum daß ich daheim war, mitteilte, daß Papa den Anzug trug, beruhigte ich mit dem, daß ich froh sei, selbst zu Haus zu sein. Olga schreibt mir, auf meine Mitteilung über den gekauften Anzug: „Kannst mir glauben, damit ist mir ein großer Stein vom Herzen. Wenn ich an Deine Heimkehr gedacht habe, so ist mir die Freude immer durch den Gedanken, daß du nichts mehr hast, getrübt worden. Nun, Ende gut, alles gut.“

Aber eins, mein Kind, glaube ich Dir nicht! Ja, vorerst muß ich mich ja bedanken für die Skalen. Nämlich (und jetzt kommt die Operation), z. Bsp. „C in C-Dur“ ist geschrieben so… Sehr richtig im Violinschlüssel, im Baß ist aber, auch das glaub’ ich nur, weiß nicht bestimmt, nicht so … Ich glaube … Bitte es oder nicht zu berichtigen.

Und jetzt zu No.2. Unter normalen Umständen hätte es mir sehr leid getan, daß Du die Loge nicht fandest. So aber, wenn Du schon selbst lieber verzichtest, bin ich froh, daß Du dafür mir was erzähltest, ich also (Egoist) nicht um den Brief gekommen bin. Vielleicht aber wäre derselbe, wenn Du in der Oper gewesen wärest, noch länger geworden! Aber gelt, wir wollen’s nachholen, wenn auch in keiner Loge.

Auch ich wünsche und weiß, daß Dich Olga liebgewinnen wird, ebenso auch Papa, und möchte Dich, je früher desto lieber, mit ihnen persönlich bekannt sehen, denn vom Hören und nach dem Bilde kennt man Dich. Auch werde ich Olga nächstens mitteilen von uns, denn bis jetzt bist Du in ihren Augen nur meine Freundin. Weißt, Liebste, aber auf eine gewisse Eifersucht mußt Du Dich gefaßt machen. Als ich einmal wie gewöhnlich abends zu Dir ging, fragte mich Papa, wo ich hingehe. Ich antwortete: „Zur Gretel.“ „Na, ja“ , sagte Papa, „dös waaß i eh, da bist wieder kan Abend z’Haus.“ (Und recht hatte Papa ja.)

Jetzt kommen wir aber wieder zu einer, wie Du richtig bemerktest, übertriebenen Auffassung Emmys, daß ich ihr „den Handschuh vor die Füße geworfen“ . Ich gebe es zu, daß das Schreiben vielleicht anders gehalten war als ich ihr gewöhnlich schrieb, aber das bedingte ja schon der Inhalt desselben und dann, angenehm war es mir ja schließlich auch nicht. Hatte jedoch nicht im geringsten gedacht, daß ich zu demselben einen Brief bekomme, in welchem Emmy mein „Bild in lieben Gedanken halten will“ und welcher mit einem „letzten Kuß“ schließt. Ich müßte gerade davon glauben, daß dies eben „soviel als Schluß“ heißt. Da ich aber Emmy kenne, glaube ich, daß Du auf sie einen beruhigenden Einfluß ausüben wirst. Ich weiß wirklich nicht, ob ich schreiben werde. Übrigens schrieb ich ihr ja knapp vor Erhalt ihres letzten Briefes einen solchen, wenn sie wünscht, kann sie doch antworten. Will mich zwar nicht auf den Justamentstandpunkt stellen, aber habe ja auch nicht die Pflicht, Gnadengesuche einzureichen (Beim Durchlesen: Es ist vielleicht grauslich, nur kann ich diese Maßlosigkeiten nicht leiden.)

Die Sterne habe ich jetzt abends erhalten, besten Dank. Unser Weihnachtsbarometer ist von „Regen“ auf „veränderlich“ gestiegen. Schon eine Besserung, siehst also, meine Gretel, daß das ganze Sichsorgenmachen unnötig ist. Nun aber wird’s Zeit zu schließen, es ist schon 40 Minuten über die anständige Stunde hinaus.

Schicke Dir einstweilen statt ihn selbst den zweiten Brief von Karl.

War jetzt drei Tage sehr verkühlt und bin recht froh, daß es wieder vorbei ist. Es macht dies der Witterungswechsel. Jetzt kommen zwei Tage hintereinander, Sonntag und Allerheiligen! Bin neugierig, ob Du zu Allerheiligen nach Gloggnitz fährst! Besser wäre es nicht, außer Du möchtest vielleicht sonst noch wohin, zum Fredy oder Deinen Verwandten.

Du schreibst in Deinem Brief von einer Schmierasch, was sagst Du dann zu meinen Briefen?

So, unser Tagwerk ist vollbracht, gute Nacht! Busserl bekommst heute nicht, sonst kriegst auch Schnupfen. In inniger Liebe

Dein Robert

Wien, 29. X.1920

Mein lieber Robert!

Erhielt heute zum Trost für die gestrige Pause zwei Briefe und Deine Karte vom 25. Vielen Dank dafür. Wenn mein Brief heute ganz unleserlich wird, mußt Du’s der Kälte zu Gute halten, um deretwillen ich in der finsteren Küche sitze. Hansi sitzt sogar auf dem Herd. Ich wenigstens nur daneben. Brauchst aber nicht zu denken, daß Hansi deshalb auch abbrennt. Sie füttert nur immerfort Bertas „Hausfreund“ . Es ist dies so eine Art Öfchen, wodurch ziemlich viel Brennmaterial erspart, aber noch mehr Zeit verschwendet wird. Man muß nämlich fortwährend nachlegen, überhaupt, wenn man nur mit Holz heizen muß. Dein Vorschlag betreffs einer Ablösung zwischen Berta und mir kann leider nicht angenommen werden. Höchstens in Ausnahmefällen. Erstens behandelt sie die Kunden nicht gleichmäßig, zweitens ist sie viel zu krank, um in der Kälte hier existieren zu können. Hansi und ich, wir ziehen uns eben genügend an, aber das will Berta ja auch nicht tun. Ist nämlich nicht Mode! Und Göttin Mode wird, wenn’s nicht anders geht, auch die Gesundheit geopfert. Weißt Du, Robert, daß ich im höchsten Grade unmodern bin?! Nun aber will ich Deine Briefe regelrecht von vorn nach rückwärts durchwandern. Vor allem bitte verzeih, daß die Adresse auf dem Brief vom 13. nicht vollständig war. Es soll nicht wieder vorkommen! Der Brief Deines Freundes hat mich sehr traurig gestimmt. Wohl seh’ ich es ein, daß ein Mensch in seiner Lage so zu schreiben vermag, aber es tut mir immer leid, wenn ich so pessimistische Leute antreffe. ’s ist immer besser zu denken: „Sind die Tage trüb, sing ein fröhlich’ Lied…“ Reißt man sich selbst gewaltsam los von solcher Stimmung, nützt es meistens! Es ist ja kein Mensch so arm und so verlassen, daß er gar nichts hätte, woran er sich zu erfreuen vermag. Und hat er sich erst einmal darauf besonnen, wird ihn die alte Traurigkeit so bald nicht wieder überfallen. Einmal war ich auch in solch weltschmerzlicher Stimmung! Da kam mir Ganghofers „Der hohe Schein“ zu statten. Das Buch hat mich vollkommen kuriert. Ob’s für andere denselben Wert hat, weiß ich freilich nicht! Wenn Wenty schreibt, daß nur ein Weib ihm helfen kann, mag er wohl recht haben, aber auch nur ein Weib, wenn schon nicht aus der „guten alten Zeit“ , so doch aus der Vorkriegszeit, denn während des Krieges sind die meisten Mädels und auch Frauen schlecht geworden. Daß ihm sein Liebchen untreu ward, ist dasselbe Los, das fast alle die Heimkehrenden traf. ’s ist wieder dasselbe wie bei allen Kriegen, die Männer verroht, die Weiber gewissen- und schamlos, die Kinder verwahrlost, schon schlecht, wenn sie kaum richtig denken lernten. Und Jahrzehnte wird es dauern, ehe das alles wieder ausgemerzt ist. Aber soll man darum so bitter werden wie Freund Karl? Dadurch läßt sich das wenigste ändern! Aber wenn Du meinst, daß bei Emmy das Umgekehrte der Fall sein dürfte wie bei Karl, kannst Du recht haben. Nur hat das Mädel auch in der Beziehung eben erst eine Enttäuschung hinter sich. Mehr kann ich Dir aber darüber nicht schreiben, weil ich selbst nicht genau weiß, wie sich die Sache verhielt. Ich weiß bloß, daß sie drei Wochen vor Deinem Kommen ihren Abschluß fand. Schau, Kind, mir tun die Menschen alle so sehr leid. Wenn ich nur allen helfen könnte! Karl Wenty wird meine Gedanken wohl noch ziemlich oft beschäftigen.

Daß Du mich „so sehr lieb“ hast, weiß ich, Robert, und bitte sei nicht böse, wenn Dir meine Worte betreffs Valerie vielleicht weh getan. Auch ich hab Dich doch so lieb, wie sehr kann ich gar nicht sagen, und wenn ich schrieb, daß mich niemand mehr so lieb habe wie meine Schwester, warst Du doch nicht gemeint damit. Du weißt, Anwesende sind immer ausgenommen. Und wenn ich Dir schreibe, bist Du doch anwesend, wenigstens in meinen Gedanken!

Hansi jammert eben, daß sie schon so alt ist, sie möchte höchstens zweieinhalb Jahre alt sein und auf keinen Fall älter als 40 Jahre werden. Gestern fragte sie mich, ob Du krähen kannst! Möchtest Du ihr die Antwort nicht selbst geben? Ich konnte leider mit keiner Antwort dienen. Mir scheint, sie „spinnt“ auch, nicht nur Du! Bin neugierig, welcher Art das Gespräch sein wird, das Ihr dabei herausbekommen werdet. Bei Huber spinnt man übrigens wirklich im Winter. Es ist ganz nett, wenn so ein paar Spinnräder schnurren, zumal wenn wir dabei gesungen haben. Morgen hat Schw. Huber Geburtstag und ich habe doch geschrieben, trotzdem Karl und Marie seit Sonntag droben sind. Thilde kommt schon Sonntag heim. Bin neugierig, ob auch der neue Bruder schon da sein wird.

Also Du dachtest an alte Zeiten?! Hm, das tu’ ich auch so manches Mal. ’s gibt so manche schöne Erinnerung aus „grauer Vorzeit“ . Und doch, ich wünschte keine Wiederholung, wie ich damals bei Ehlers schon sagte, wenn Du Dich dessen erinnerst. Viel schöner noch als jede Erinnerung ist doch wirklich die Gegenwart und wird die Zukunft sein. Wenn’s denn schon wär’!

Daß Du über meine Malerei gelacht hast, glaub’ ich gerne, heute kann ich’s ja auch tun, aber damals war mir durchaus nicht zum Lachen zumute. Dabei hätte Mutter vielleicht gar nichts bemerkt, wenn Valerie nicht die Bilder selbst hätte aufhängen wollen, was sonst durchaus nicht ihre Gewohnheit war.

Also ein „ganz närrisches Luder“ warst Du während der Lehrzeit? Nun, das sind eben die Flegeljahre, immer noch viel besser, sie machen sich in solcher Weise bemerkbar wie bei Dir, als wenn sie’s anders tun. Aus der Zeit stammt wohl der in allen Fächern versierte „Herr Tüchtig“ Mitzis! Nicht?

Was wirst Du aber mit solch dummer Frau anfangen, wenn Du so „fürchterlich“ viel gelernt und gelesen hast? Auf einmal wirst Du Dir dann denken, ich bin Dir viel zu dumm. Meinst nicht? Deine Entrüstung über den „Anstreicherlehrling“ kann ich mir allerdings denken! Habe auch darüber recht gelacht!

Wien, 29. X.1920

Liebster Robert!

Nun zur Beantwortung des zweiten Schreibens von gestern.

Ja, die alte Schw. Gattringer war krank. Wieso der Durcheinander entstehen konnte, begreif’ ich gar nicht! Aber ’s kann ja sein, daß ich Dir in meiner Zerstreutheit irgendetwas Verdrehtes schrieb.

Du möchtest gern an dem morgigen Programm teilnehmen. Weißt, da wär’ ich gar nicht bös darüber. Werde Dir Montag Bericht erstatten über den Verlauf. Nach unserem Fest gehe ich mit Hilde und Hansi zu einem Egerländerfest mit anschließendem Tanzkränzchen. Hilde geht nämlich mit der Hausfrau von draußen und mich hat sie so lange sekkiert mitzugehen, oder doch wenigstens Hansi mitgehen zu lassen, bis ich endlich ja sagte. Hansel allein kann ich doch nicht gehen lassen. Also spielen wir mal „Ball-Mama“ . Hrubesch’s Hausfrau kann dann die Rolle der Ball-Großmama übernehmen. Aber ein närrischer Käfer ist Hilde doch. Meint sie, wir könnten alle drei rosa Kleider anziehen, bei der Kälte! Heute früh hatte es sage und schreibe 12 Grad C unter Null. Sehr passend für Etaminkleider. Hansi erteilte mir eben den Auftrag, den Hausfreund nicht ausgehen zu lassen, sondern ihn fleißig zu füttern. Sie geht nämlich Butter kaufen. Das kleine eiserne Ding aber will fortwährend bedient werden.

So, wieder einmal ein Rummel vorbei. Es ist doch wahr, daß der Mensch ein Herdentier ist. Ich merke das sogar hier im Geschäft. Immer kommen sie rudelweise einkaufen.

„Die Christnachtsglocken zu Amras“ hab ich noch nicht. Hatte noch gar keine Zeit, Schw. Gusterschitz aufzusuchen. Was mit ihr ist? Kind, das weiß ich selbst nicht recht. In die Gefangenschaft hab ich Dir jedenfalls geschrieben, daß ihr Mann gestorben ist und sie nun die Pension bezieht. Auch ihre Mutter ist gestorben und Schw. Gusterschitz wohnt nun mit Gretel allein. ’s scheint sogar, daß sich die beiden jetzt besser vertragen als früher. Grete war sogar heuer ein paar Mal mit ihrem Bräutigam in den Versammlungen. Schlecht scheint’s ihnen jetzt nicht zu gehen. Schw. G.hat Ehlers angeboten, ihnen Butter und Eier zu bringen, wenn sie ihr dann bei ihrer Abreise nach Amerika die Wohnung für Grete überlassen würden. Gretel will heiraten und Wohnung ist ja keine zu kriegen.

Nun, Du meinst, ich soll mir keine Sorgen machen wegen Weihnachten. Ich tu’s auch gar nicht mehr! Vorläufig hab ich mich abgefunden mit dem Gedanken, daß Du nicht kommst. Sollte der Gedanke aber an der Tatsache „Deines Kommens“ scheitern, so soll’s mir nur umso lieber sein! Gut ist’s nur, daß Du mir so früh davon Mitteilung machtest, so habe ich doch Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ich füge mich ja in alles. Nur wenn’s so überraschend kommt, dann bäumt sich alles in mir auf gegen solche Einwirkung von außen, die sich meinem Willen entgegenstellt und gegen die ich machtlos bin. Aber wenn nur unser Glück nicht an irgendwelcher Tatsache scheitert, dann will ich schon ganz und gar zufrieden sein! Aber so ein ganz klein wenig möchte ich Dich doch jetzt dahaben! „Nur ein Viertelstündchen“ !

Hansel singt eben: „’ne große Frau ist eine Plag’ für einen kleinen Mann, sie prügelt ihn ja alle Tag’ u.s.w.“ Hast Du noch keine Angst? Übrigens, bis Du wiederkommst, bin ich um die Hälfte kleiner, weil mich die Kälte zusammenziehen wird. Dann ist die Sache weniger gefährlich. Warum ich alle meine Post verbrenne, weiß ich selbst nicht genau. Erstens geben sie vorzügliches Feuer, bei der heutigen Papiernot durchaus nicht zu verachten. Zweitens hab ich viel zu wenig Platz, um das ganze Zeug aufheben zu können und drittens steht mir kein Mensch so nahe, daß mir seine Briefe des Aufbewahrens wert wären. Aus früheren Zeiten habe ich nur ein paar Briefe eines alten Onkels, der in Graz lebt und dem ich die glücklichsten Stunden meiner Kindheit verdanke. Ferner besitze ich einige Briefe Valeries und einen von Br. Olsen.

Br. Fuhriman wird sich sicher „unendlich“ freuen, daß Du ihn zu uns rechnest. Das ist wohl so à la Bürgschaft: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“ Muß ihm das bei Gelegenheit mal mitteilen. Vorläufig aber will ich ihm seine Wiedersehens- und Heimkehrfreude nicht stören.

Muß aber jetzt aufhören, um das Geschäft in Ordnung zu bringen. Morgen schreib ich Dir sicher wieder nicht. Morgen ist Versammlung, dann Theaterprobe bei den Kindern, um 3 Uhr Programm, Ende unbestimmt, abends das Egerländerfest. Warum ich dem Quälgeist eigentlich nachgab? Ich mag ja gar nicht tanzen. Wenigstens nicht mehr als ein bis zwei Mal. Früher einmal tanzte ich freilich fast ebenso gern wie Hilde. Eigentlich sonderbar, da ich früher doch viel erwachsener war als jetzt. Sonderbar ist auch, daß Valerie, die doch die entschieden lebhaftere, lustigere von uns beiden war, für’s Tanzen gar kein Interesse hatte. Sie meinte immer, sie begreift’s nicht, warum man sich so blödsinnig herumdreht. Fast muß ich ihr heute Recht geben und doch, wenn die Musik gar zu lockend klingt, packt’s mich doch wieder. Hansi mag gar nicht tanzen, Fredy und Trudel schon sehr gern.

Wenn Ihr am Feiertag gearbeitet habt, ist’s schon recht. Ist die Trennung wieder um einen Tag kürzer. Montag Nachmittag werd’ ich Dir die Noten nocheinmal schreiben. Hoffe, daß Du’s dann diesmal bekommst! Freitag (ich glaube wenigstens) ist unser Nationalfeiertag. Nun Schluß! Zwar ohne Jubel, aber doch. Schlaf wohl, mein Lieb und träum das Schönste was es gibt. Grüß mir den Wald. Schade, daß ich Dich nicht begleiten kann. Viele Grüße von den Meinen. Sei innig umarmt und geküßt von

Deiner Gretel


[up] [CV] [Holydays] [1920] [1921] [1923] [1925] [1926] [1928] [1929] [1930] [1931] [1932] [1934] [1935] [1936] [1937] [1938] [1939] [1940] [1941] [1942]




We appreciate your comments, please send them to Paul Schröfl (pauli schroefl.com). The usage of this Web Site underlies our usage policy. © 1990- 2024 Paul Schröfl, Lisl Schröfl. Last changes made on december 7th, 2021