5. Juni 1923
Mein liebes Weiberl!
Es ist 9 Uhr, aber ich will noch nicht schlafen gehen, trotzdem Du wahrscheinlich schon im Bett sein wirst. Weißt, so allein ins Bett zu gehen ist gar nicht schön, drum schieb ich’s heute noch ein wenig hinaus. Schlief heute nacht gar nicht gut, war etliche Stunden wach. Sonst ging’s bis jetzt ganz gut. Trudel schlief schon und Hansi, welche sich als Hausmütterchen ganz gut macht und alles so gut sie kann in Ordnung hält (das brauchst Du ihr natürlich nicht zu sagen), liest. Mit dem heutigen Mittagsmahl waren die Kinder äußerst zufrieden und Hansi sagte, sie wußte gar nicht, daß Du und Großmama so gut kochen könnt. Trudel hat sich zwar ihre Ohren dreimal waschen müssen, aber es ging ohne Raunzen, so wie halt immer, wenn Großmama nicht da ist. Wie fühlst Du Dich denn draußen und wie gefällt es unserem Buben? Wenn Ihr auch so ein Wetter habt wie wir, so werdet Ihr wahrscheinlich nicht viel heraußen gewesen sein, doch scheint’s sich zu bessern. Eben vorher habe ich Bubis Wagen abgetakelt und die Stoffsachen zur Schmutzwäsche gegeben. Gestern habe ich dreidreivieltel und heute zwei Überstunden, so daß also die Fahrt am 16., zu Dir, mein Butzerl, schon herinnen ist. Außerdem ist auch die Gleitende (Anm.: Inflation!) um cka. 5 % erhöht worden. Du bist zwar jetzt erst zwei Tage fort, aber ich freue mich trotzdem schon sehr auf den 16. Wir haben zwar gesagt, daß wir nicht mehr seufzen werden, doch Du hörst es ja nicht. So, jetzt geh’ ich doch ins Bett. Viele, viele Busserl,
Dein Robert
Liebste! 6. VI.23. Von Mutter erfuhr ich heute früh, was für Höhlenmenschen Ihr wart und wie Ihr doch gut hinaufkamt. Weißt, ich möcht halt schon, daß es nächste Woche Freitag wäre. Mutter und Hansi sind im Theater, so daß ich das Nachtmahl, Eiernockerln mit Salat, mit Trudel allein verzehrte. Habe heute wieder zwei Überstunden gemacht. Bin ich nicht brav?? Zwar denkst Du, das reicht schon, weil wir Dich in die Verbannung schickten, aber gelt, Schatzerl, so ein bisserl hältst Du’s schon aus, ich hab Dich ja bald wieder. Für heute mit vielen Busserln, gute Nacht!
Weingarth, 6. VI.1923
Mein Herzensschatz!
Muß doch schnell probieren, ob ich Dir nicht ein paar Zeilen schreiben kann. Klein Robert schläft gerade. Im großen ganzen war’s heute besser als gestern. Momentan haben wir zwar den dritten Regenguß, aber es waren doch auch schöne Stunden, in denen ich mit unserem kleinen Schatzerl auf dem Gras herumkugeln konnte. Da waren wir beide recht lustig und haben viel, viel gelacht. Mehr als im „Keuschen Heinrich“. In der Nacht haben wir halt a bisserl a G’frett der Flöhe wegen. Und mein „Elektrisches“! Heute Nacht sind mir die Zündhölzer hinter dem Bett hinuntergefallen. Hab’ ich wenigstens geglaubt. Ich stand auf, kroch darunter bis zur Wand und hätte bald müssen steckenbleiben, weil Bubi im Waschtrog draußen stand, aber - Zündhölzer fand ich keine. Die sind zwischen Bett und Wand steckengeblieben, wie ich am morgen bemerken konnte. Im Waschtrog hat Robert schön Platz, viel mehr als in seinem Korb zuhause.
Was sagst Du zu unserem neuerlichen Höhlenabenteuer? Wäre übrigens gar nicht schlecht, wenn wir auf unserer Urlaubswanderung immer derartigen Unterschlupf finden könnten. Kind, wie freue ich mich, wenn Du kommst. Ich wollte, die Zeit wär’ schon da. Na, Geduld und nicht seufzen, gelt? Aber schreibe mir bald, Herzlieb, bitte! Sonst komme ich vor Sehnsucht und Heimweh um. Das willst Du doch nicht?
Heute habe ich Frieda ein Lied gelernt, „O strahlender Morgen“. Es wird ihr und mir eine Zerstreuung bieten, wenn wir hie und da uns etwas singen. Und mit ihr zu lernen ist ein Vergnügen, denn sie kann sowohl Melodie wie auch den Text nach 3 bis 4 maligem Singen. Wenn Du auf Besuch kommst, können wir auch singen. Es ist nur ein Malheur, daß bei ihr alles durch die Nase geht. In Ermangelung eines besseren aber geht man darüber hinweg, nicht? Onkel ist heute heimgekommen. Ich bin herzlich froh, daß zwischen den beiden Leuten jetzt doch halbwegs Einigkeit herrscht. Es gibt für mich nichts schrecklicheres als Uneinigkeit. Bitte, trachte auch mit Mutter auszukommen! Kind, Liebling, schau, sie ist ja so gut! Und es ist mein größter Kummer, daß Ihr einander nicht verstehen wollt. Ihr kommt Euch ja gegenseitig nicht um eine Handbreit entgegen. Na, ich will Dir jetzt nicht etwas vorraunzen, sonst kriegst Du am Ende den Eindruck, als würde ich hier nichts als Trübsal blasen und das ist nicht der Fall. Den Brief für Festus werde ich morgen wenn auch vielleicht nicht vollenden, so doch fortsetzen. Diesen Brief gebe ich Hans morgen mit. Waren die Kinder brav, während Mutter hier war? Wahrscheinlich ja, gelt?
Grüße Frau Lojsek und sage ihr, es geht Bubi recht gut. Warum er so eine Raunzen ist, weiß ich nicht; vielleicht erbliche Veranlagung.
Nun grüß mir Mutter und die Kinder. Fredy könnt Ihr sagen, daß man heute Grimmenstein sehr gut gesehen hat von hier. Wenn er dort wäre, ginge ich einmal mit Robert dem noch Kleineren dorthin zu ihm.
Dich, mein Liebling grüße ich und küsse Dich vieltausendmal! Busserl von Bubi an Euch alle! Er hat’s zwar nicht gesagt, aber ich denk mir’s!
In heißer Sehnsucht,
Deine Gretel
12. VI.23
Mein liebes Butzerl!
Nachdem ich morgen Zahnanmessen gehe, machts’s ja, wenn ich später zu Bett komme, also wird geschrieben. Wenn der Brief morgen aufgegeben wird, kommt er doch früher als ich zu Dir. Vor allem hoffe ich, daß das Wetter bei Euch draußen schöner ist als bei uns, denn hier regnet’s täglich sechs Mal und ebenso viel Mal scheint die Sonne. Ein rechtes Aprilwetter. Und dabei ist’s kalt, daß wir die Fenster zu haben. Wir seid Ihr denn Sonntag zurückgekommen? Der Weg nach Pitten, besonders durch den Schildgraben, war recht schön, ich bin natürlich nicht oben sondern im Graben gegangen. Aber am Sonntag komm ich doch wieder über Reitersberg, da es von Pitten mit dem vollen Rucksack doch zu weit ist. Bin übrigens Sonntag noch bis Erlach gegangen, da noch genügend Zeit war. Vor Pitten hätte mich beinahe ein Hund gebissen, ich versetzte ihm aber eins mit den Genagelten und so hat er mir nur den Stutzen halb ausgezogen. Weißt, Lieb, mir geht’s jetzt recht dumm. Ich will nicht raunzen (mir fällt da eben die erbliche Veranlagung Bubis ein, von der Du schriebst), aber ich möcht halt doch, daß Samstag ist. Beinahe geht’s diese Woche schlechter als vorige. Wenn Du den Brief kriegst, ist’s so schon näher, das Wiedersehen. Den Brief von voriger Woche lege ich bei, habe vergessen, ihn Dir zu geben. Bei uns geht alles gut, nur etwas kommt uns zum Urlaub vielleicht über Quere. Nämlich daß Mutter vielleicht nicht zur angenommenen Zeit herausfahren kann, wenn sich die Herausgabe der Sachen Bertas, was am 24. sein sollte, wenn die Gläubiger keinen Einspruch erheben, verzögert. Nun, darüber machen wir uns einstweilen keine Gedanken und Mutter will nicht, daß man draußen einstweilen was davon weiß, da Onkel ihr vielleicht einen Patzer drein macht. Also rede einstweilen nicht davon. Nun, Schatzerl, geh ich doch schlafen. Küsse unseren Boy recht, und Dich umarmt Dein
Robert
18. VI.1923
Herzlieb, Du süßes einziges!
Soeben habe ich den Brief für Tante Emma beendet und beeile mich nun, Dir, mein liebstes, ein paar Zeilen zu schreiben, so lange unsere kleine Raunzen mich noch in Ruhe läßt. Heute ist alles wieder besser. Das Wetter, mein Kopf und auch unser Bub. Die Nacht war zwar bedeutend schlechter als die letzte, aber bei Tag hast er noch gar nicht geraunzt heute.
Und bei Appetit bin ich heute großartig. Habe mittags die beiden Knödel gegessen, 3 Häupel Salat und ein Stück Kirschenstrudel von der Tante. Was sagst Du dazu? Außerdem habe ich heute viel zu viel Milch, weil Du mich gestern so grausam im Stich gelassen hast.
Du armer, lieber Mann, hast wieder müssen ohne Nachtmahl von mir fortgehen. Wenn Du noch öfter kommen würdest, wärest Du bald zum Gerippe abgemagert, weil Dich Dein Weiberl so vernachlässigt. Schatzerl, wenn ich Dich nur schon wieder hätte! Ein bisserl vernünftiger bin ich ja als gestern, aber viel nicht. Wenn das Kind nicht wäre, wäre ich schon längst, längst wieder daheim. Ich kann mich ja vor Heimweh und vor Sehnsucht nach Dir gar nicht erholen. Ich glaube, mein Herz - nein, ich will ja nicht immer raunzen - 14 Tage, 13, nein 12 Tage sind’s ja nur mehr. So lang werd’ ich’s doch noch aushalten. Heute hab ich zwar noch nicht gesungen, denn mein Kopf ist immer noch zart zu behandeln wie ein neugeborenes Kind. Aber dann werde ich die trüben Tage schon hinwegsingen. Oder lerne ich, wie vorige Woche der Frieda aus lauter Verzweiflung schnurspringen. Solltest mal sehen, wie „patschert“ sie sich dazu stellt. Wie ein Tatzbär.
Hans hat diese Woche Nachtschicht, da ist’s wieder besser, mit dem Buben kann ich doch mehr plaudern.
19. VI.1923
Mein Liebling!
Mußte gestern aufhören, warum, weißt Du wohl.
Jetzt eben kam Onkel von Hartberg zurück, er hat Minna besucht. Es geht ihr recht gut, so weit man nach äußeren Umständen urteilen kann. Sie ist bei einer größeren Häuslerin, welche ein paar Kühe, Schweine und Schafe hat. Bisher hat die Frau 14 Findelkinder aufgezogen. Zwei, nun schon erwachsen, weilten zur Zeit dort, um bei der ehemaligen Ziehmutter ihren Urlaub zu verbringen. Natürlich möchte die Kleine heim zu Tante, aber ich denke, sie wird sich schon gewöhnen. Tante ist wieder ganz niedergeschlagen und weint.
Onkel hat wieder einmal einen Hund mitgebracht und nun wird gesotten und gebraten aus Leibeskräften. ’s ist eigentlich Torheit, aber ich glaube doch, ich könnte von dem Vieh nichts essen.
Heute nacht hat es immerfort geregnet. Eigentlich von gestern abend 8 Uhr bis heute mittag. Als ich mit Robert um die Milch ging, fing die Sonne zu scheinen an und war’s recht schön bis jetzt 4 Uhr nachmittag. Jetzt aber regnet es wieder.
Mein Kopf ist immer noch katzenjammerig. Wenn ich einen Mordsrausch gehabt hätte, könnte es auch nicht ärger sein. Wenn die Sonne scheint, ist’s ihm nicht recht, wenn sich ein Lüftchen regt, ist’s dasselbe.
Schatzi, jetzt sind’s nur mehr 4 Tage und 3 Stunden oder 99 Stunden bis Du wiederkommst. Wenn das Wetter nicht gar zu arg ist, kommen wir Dir wieder entgegen. So, nun scheint die Sonne und es regnet, daß es nicht besser könnte.
Muß mich nun beeilen, den Brief zu schließen, damit ihn Hans noch mitnehmen kann, sonst bekommst Du ihn gar zu spät. Die nächste Seite gehört Mutter.
Es umarmt und küßt Dich fest und innig
Dein Weiberl und Bub.
Mein liebes Mutterle!
Hab innigen Dank, daß Du mein Männchen so gut versorgst! Ich wußte das zwar ohnehin, doch freut es mich, solches auch von ihm zu hören. Daß es Bubi sehr gut und mir auch so leidlich geht, weißt Du wohl von Robert.
Freue mich schon sehr, wenn Ihr kommt. Wenn es Dir nur halbwegs möglich ist, bitte verzögere Dein Kommen nicht.
Ein Bett bekommt Tante geliehen. Zwar sind keine Bettbretteln drinnen, aber dem ist ja abzuhelfen. Im Heu dürft Ihr heuer nicht schlafen, weil die „Goaß“ das Heu im Winter nicht fressen wollte. Wenn Hansi also die Rosa mitnehmen will, muß sie mit Hansi schlafen und auf jeden Fall Quartiergeld bezahlen, weil Tante für das Bett arbeiten gehen muß. Wenn Steffi herauskommen wollte, stünde ihr das Bett natürlich auch zur Verfügung, nun müßte sie dann erst kommen, wenn Hansi und Rosa wieder drinnen sind. Bettzeug müßt Ihr Euch mitnehmen, Polster, Decke und Leintuch. Alles andere dann mündlich. Mit vielen Küssen an Dich und die Kinder alle drei und Grüße an die Geschwister und Familie Lojsek nebst Steffi.
Deine Gretel
19. VI.23
Mein liebes Butzerl!
Wie geht’s Dir denn, mein Armes? Hoffentlich hat das Kopfweh nachgelassen. Mir war so traurig, wie ich von Dir fortmußte und wäre die Verlassenschaftsgeschichte nicht gewesen, so wäre wohl gleich Montag die Großmama hinausgekommen um Dich abzulösen. So mußt Du halt noch eineinhalb Wochen tapfer sein, dann werden wir ja beide erlöst von unserer Einsiedelei. Vielleicht ist es möglich, daß Du dann im August mit Bubi nach Ternitz kommst, da Karls Bett, welcher jetzt in Steiermark ist, frei ist. Hanny und Gefährtin sind noch hier und schlafen schon draußen auf Sesseln, Großmama und Hansi sind im Theater. Ich sollte Mittwoch mit Hanny in die Volksoper gehen, hab’ aber keine Lust und Hanny die Karte abgetreten. Ja, wenn Du da wärst!
Mit Überstunden war ich diese Woche gar nicht brav. Ich will nämlich die Leitung machen und ging dafür gestern um 4 Uhr nach Haus. Da kamen die Brüder und mit meinem Vorsatz war’s natürlich nichts. War mir aber trotzdem ganz angenehm, Du weißt ja, ich rede ganz gerne über den Punkt. Heute habe ich unser Kabinett bis auf den Plafond fertig, die Leitungen nämlich. Möchte bei dieser Gelegenheit gleich das Gasrohr herunternehmen.
Mit der Erbschaftsgeschichte geht’s bis jetzt ganz gut und Mutter hofft auch, daß bis Mittwoch, Donnerstag nächste Woche alles erledigt sein wird.
Samstag komme ich über den Hausfrauweg. Nun scheint’s sich doch auszuheitern. Auch bei Dir wird das ja der Fall sein, wenn die Sonne scheint und Ihr beide hinauskönnt.
Zu Hause geht auch alles gut und ich wünschte nur, daß es auch so bliebe, wenn wir wieder alle da sind. Mutter hat gestern gewaschen. Mila war heute mit der Kleinen da, ihr Mann ist schon wieder arbeitslos. Bis auf’s Wiedersehen recht viele liebe Busserl Euch beiden.
Robert
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